04.05.2022
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte die Frage zu entscheiden, ob die Betreiberin eines Fitness-Studios zur Rückzahlung von Mitgliedsbeiträgen verpflichtet ist, welche sie in der Zeit, in der sie ihr Fitnessstudio aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie schließen musste, von einem Kunden per Lastschrift eingezogen hat (Urt. v. 04.05.2022, Az. XII ZR 64/21).
Die Parteien schlossen am 13. Mai 2019 einen Vertrag über die Mitgliedschaft im Fitnessstudio der Beklagten mit einer Laufzeit von 24 Monaten, beginnend ab dem 8. Dezember 2019. Der monatliche Mitgliedsbeitrag, der im Lastschriftverfahren eingezogen wurde, betrug 29,90 € nebst einer halbjährigen Servicepauschale. Aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie musste die Beklagte das Fitnessstudio in der Zeit vom 16. März 2020 bis 4. Juni 2020 schließen. Die Monatsbeiträge für diesen Zeitraum zog sie weiterhin vom Konto des Klägers ein. Eine vom Kläger mit Schreiben vom 7. Mai 2020 erklärte Kündigung seiner Mitgliedschaft zum 8. Dezember 2021 wurde von der Beklagten akzeptiert. Mit Schreiben vom 15. Juni 2020 verlangte der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung der per Lastschrift eingezogenen Mitgliedsbeiträge für den Zeitraum vom 16. März 2020 bis 4. Juni 2020. Nachdem eine Rückzahlung nicht erfolgte, forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm für den Schließungszeitraum einen Wertgutschein über den eingezogenen Betrag auszustellen. Die Beklagte händigte dem Kläger keinen Wertgutschein aus, sondern bot ihm eine "Gutschrift über Trainingszeit" für den Zeitraum der Schließung an. Dieses Angebot nahm der Kläger nicht an.
Das Amtsgericht Papenburg (Urt. v. 18.12.2020, Az. 3 C 337/20) hat die Beklagte zur Rückzahlung der Monatsbeiträge für den Schließungszeitraum in Höhe von 86,75 € nebst Zinsen und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Ihre hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Osnabrück (Urt. v. 09.07.2021, Az. 2 S 35/21) zurückgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision, mit der die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen wollte, hatte keinen Erfolg.
Der u.a. für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass der Kläger gemäß §§ 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 346 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der für den Zeitraum der Schließung entrichteten Monatsbeiträge hat. Diesem Rückzahlungsanspruch des Klägers kann die Beklagte nicht entgegenhalten, der Vertrag sei wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste, verlängert wird.
Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Rechtliche Unmöglichkeit ist gegeben, wenn ein geschuldeter Erfolg aus Rechtsgründen nicht herbeigeführt werden kann oder nicht herbeigeführt werden darf. So liegt der Fall hier.
Während des Zeitraums, in dem die Beklagte aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ihr Fitnessstudio schließen musste, war es ihr rechtlich unmöglich, dem Kläger die Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren und damit ihre vertraglich geschuldete Hauptleistungspflicht zu erfüllen.
Obwohl die Beklagte das Fitnessstudio im Hinblick auf die zeitliche Befristung der Corona-Schutzmaßnahmen lediglich vorübergehend schließen musste, liegt kein Fall einer nur vorübergehenden Unmöglichkeit vor, die von § 275 Abs. 1 BGB nicht erfasst würde. Ein nur zeitweiliges Erfüllungshindernis ist dann einem dauernden gleichzustellen, wenn durch das Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt ist und der einen oder anderen Partei bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange nicht mehr zugemutet werden könnte, die Leistung dann noch zu fordern oder zu erbringen. Wird - wie im vorliegenden Fall - für einen Fitnessstudiovertrag eine mehrmonatige feste Vertragslaufzeit gegen Zahlung eines monatlich fällig werdenden Entgelts vereinbart, schuldet der Betreiber des Fitnessstudios seinem Vertragspartner die Möglichkeit, fortlaufend das Studio zu betreten und die Trainingsgeräte zu nutzen. Der Zweck eines Fitnessstudiovertrags liegt in der regelmäßigen sportlichen Betätigung und damit entweder in der Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumindest der Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit. Aufgrund dessen sind für den Vertragspartner gerade die regelmäßige und ganzjährige Öffnung und Nutzbarkeit des Studios von entscheidender Bedeutung. Kann der Betreiber des Fitnessstudios während der vereinbarten Vertragslaufzeit dem Vertragspartner die Nutzungsmöglichkeit des Studios zeitweise nicht gewähren, etwa weil er - wie hier - das Fitnessstudio aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie schließen muss, kann dieser Vertragszweck für den Zeitraum der Schließung nicht erreicht werden. Die von dem Betreiber geschuldete Leistung ist deshalb wegen Zeitablaufs nicht mehr nachholbar.
Zu Recht hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass die Beklagte dem Rückzahlungsanspruch des Klägers nicht entgegenhalten kann, der Vertrag sei wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertragslaufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste, verlängert wird. Eine solche Vertragsanpassung wird zwar in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung teilweise vertreten. Diese Auffassung verkennt jedoch das Konkurrenzverhältnis zwischen § 275 Abs. 1 BGB und § 313 BGB. Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an die tatsächlichen Umstände kommt grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimmt. Daher scheidet eine Anwendung des § 313 BGB aus, soweit - wie im vorliegenden Fall - der Tatbestand des § 275 Abs. 1 BGB erfüllt ist.
Ein Anspruch der Beklagten auf die begehrte Vertragsanpassung scheidet auch deshalb aus, weil mit Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB eine speziellere Vorschrift besteht, die im vorliegenden Fall einem Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze zur Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage entgegensteht.
Grundsätzlich ist eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB nicht möglich, wenn der Gesetzgeber das Risiko einer Geschäftsgrundlagenstörung erkannt und zur Lösung der Problematik eine spezielle gesetzliche Vorschrift geschaffen hat. Bei der durch Art. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsrecht und im Recht der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) vom 15. Mai 2020 mit Wirkung vom 20. Mai 2020 (BGBl. I S. 948) eingeführten Vorschrift des Art. 240 § 5 EGBGB handelt es sich um eine solche spezialgesetzliche Regelung, die in ihrem Anwendungsbereich dem § 313 BGB vorgeht.
Zur Zeit der Schaffung dieser Vorschrift mussten aufgrund der umfangreichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen Veranstaltungsverbote und Kontaktbeschränkungen eine Vielzahl von Veranstaltungen abgesagt und Freizeiteinrichtungen vorübergehend geschlossen werden. Daher konnten vielfach bereits erworbene Eintrittskarten nicht eingelöst werden. Ebenso konnten Inhaber einer zeitlichen Nutzungsberechtigung für eine Freizeiteinrichtung diese für eine gewisse Zeit nicht nutzen. Der Gesetzgeber befürchtete, dass die rechtliche Verpflichtung der Veranstalter oder Betreiber, bereits erhaltene Eintrittspreise oder Nutzungsentgelte zurückerstatten zu müssen, bei diesen zu einem erheblichen Liquiditätsabfluss führen würde, der für viele Unternehmen im Veranstaltungsbereich eine existenzbedrohende Situation zur Folge haben könnte. Zudem sah der Gesetzgeber die Gefahr, dass Insolvenzen von Veranstaltungsbetrieben auch nachteilige Folgen für die Gesamtwirtschaft und das kulturelle Angebot in Deutschland haben könnten.
Um diese unerwünschten Folgen nach Möglichkeit zu verhindern, wollte der Gesetzgeber mit Art. 240 § 5 EGBGB für Veranstaltungsverträge, die vor dem 8. März 2020 abgeschlossen wurden, eine Regelung schaffen, die die Veranstalter von Freizeitveranstaltungen vorübergehend dazu berechtigt, den Inhabern von Eintrittskarten statt der Erstattung des Eintrittspreises einen Gutschein in Höhe des Eintrittspreises auszustellen (Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB), sofern die Veranstaltung aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte. Durch Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB wurde dem Betreiber einer Freizeiteinrichtung ebenfalls das Recht eingeräumt, dem Nutzungsberechtigten einen Gutschein zu übergeben, der dem Wert des nicht nutzbaren Teils der Berechtigung entspricht.
Durch diese "Gutscheinlösung" hat der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Interessen sowohl der Unternehmer im Veranstaltungs- und Freizeitbereich als auch der Interessen der Kunden eine abschließende Regelung getroffen, um die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungs- und Freizeitbereich abzufangen. Eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage findet daneben nicht statt.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 275 Ausschluss der LeistungspflichtAuszug aus dem Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB)
Art. 240 Vertragsrechtliche Regelungen aus Anlass der COVID-19-PandemieQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 056/2022 vom 04.05.2022
Druckansicht weniger Information21.04.2022
Der BGH hat heute erneut über Schadensersatzansprüche wegen des Leasings und anschließenden Kaufs eines Dieselfahrzeugs entschieden. Im Mittelpunkt der Verfahren stand wiederum die Frage der bei der deliktischen Vorteilsausgleichung vorzunehmenden Bemessung des Nutzungsvorteils des Leasingnehmers (Urt. v. 21.04.2022, Az. VII ZR 247/21, VII ZR 285/21 und VII ZR 783/21).
In den drei Verfahren nahm die jeweilige Klagepartei die beklagte Volkswagen AG als Fahrzeug- bzw. Motorherstellerin auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Anspruch.
Im Verfahren VII ZR 247/21 schloss die Klägerin im Frühjahr 2010 mit der Volkswagen Leasing GmbH einen Leasingvertrag über ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug des Typs VW Golf. In der Folgezeit zahlte sie die vereinbarten monatlichen Leasingraten, bis sie das Fahrzeug im Juni 2013 kaufte.
Im Verfahren VII ZR 285/21 schloss der Kläger im Februar/Mai 2015 mit der Volkswagen Leasing GmbH einen Leasingvertrag über ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug vom Typ VW Tiguan. Vertragsgemäß erbrachte er in der Folgezeit eine Einmalzahlung sowie monatliche Zahlungen, bis er das Fahrzeug im März 2018 kaufte.
Im Verfahren VII ZR 783/21 schloss die Klägerin im Dezember 2011 mit der Volkswagen Leasing GmbH einen Leasingvertrag über ein Neufahrzeug des Typs Seat Ibiza 2.0 TDI. Sie leistete eine Sonderanzahlung und monatliche Raten, zudem wandte sie 1.178,29 € für den Einbau eines Gewindefahrwerks auf. Anfang August 2016 kaufte sie das Fahrzeug.
In den Fahrzeugen ist jeweils ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. Die Motoren enthielten bei Abschluss der Leasingverträge eine Software, die den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte.
Die Klageparteien haben in den Vorinstanzen, soweit für die Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen die Erstattung ihrer Leasingzahlungen abzüglich einer Nutzungsentschädigung begehrt.
Die Klagen waren vor den jeweiligen Berufungsgerichten jeweils zum Teil erfolgreich. Die Berufungsgerichte haben übereinstimmend angenommen, dass den Klageparteien ein Anspruch auf Erstattung ihrer Leasingzahlungen (im Verfahren BGH VII ZR 783/21 zuzüglich der Aufwendungen für das Gewindefahrwerk) unter Anrechnung gezogener Nutzungsvorteile zustehe. Der Wert der während der Leasingzeit erlangten Nutzungsvorteile entspreche nicht den von den Klageparteien erbrachten Leasingzahlungen, sondern sei nach der für den Fahrzeugkauf anerkannten Berechnungsformel, also Fahrzeugpreis mal Fahrstrecke geteilt durch Laufleistungserwartung (so die Berufungsgerichte in den Verfahren VII ZR 247/21 und 783/21), beziehungsweise gemäß dem während der Leasingzeit eingetretenen Wertverlust des Fahrzeugs (so das Berufungsgericht im Verfahren VII ZR 285/21) zu bemessen.
Die von den Berufungsgerichten zugelassenen Revisionen der Beklagten hatten Erfolg. Sie führten in den Verfahren VII ZR 285/21 und 783/21 jeweils zur vollständigen Abweisung der Klage und im Verfahren VII ZR 247/21 zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, durch das die Beklagte lediglich zur Erstattung des im Juni 2013 von der Klägerin gezahlten Kaufpreises abzüglich der nach dem Kauf gezogenen Nutzungen verurteilt worden war.
Wie der unter anderem für Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben, zuständige VII. Zivilsenat des BGH mit – nach Erlass der drei hier angefochtenen Berufungsurteile ergangenem – Urteil vom 16. September 2021 (VII ZR 192/20; vgl. Pressemitteilung Nr. 172/2021) entschieden hat, entspricht im Rahmen der deliktischen Vorteilsausgleichung der Wert der während der Leasingzeit erlangten Nutzungsvorteile eines Kraftfahrzeugs der Höhe nach den vertraglich vereinbarten Leasingzahlungen. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof in seinen heute verkündeten Urteilen bestätigt. Die Frage, ob eine andere Betrachtung dann geboten ist, wenn aufgrund der Vertragsgestaltung von vornherein feststeht, dass der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit übernimmt, bedurfte in dem Urteil vom 16. September 2021 (VII ZR 192/20) keiner Entscheidung und konnte auch in den heute verhandelten Verfahren offenbleiben.
In der Sache VII ZR 247/21 hatte das Berufungsgericht gemeint, eine dem Kaufrecht entsprechende Bewertung des Nutzungsvorteils sei hier jedenfalls deshalb vorzunehmen, weil der Gesamtvorgang beziehungsweise Vertrag von Anfang an auf den Erwerb des Fahrzeugs ausgerichtet gewesen sei. Mehr als eine Vorstellung der Klägerin oder gegebenenfalls beider Vertragsparteien, die jedoch nicht Gegenstand der Vertragsgestaltung geworden ist, lässt dies nicht erkennen. Eine bereits bei Abschluss des Leasingvertrags getroffene Vereinbarung über den späteren Fahrzeugerwerb ist dagegen weder den Feststellungen des Berufungsgerichts unter Berücksichtigung der im Berufungsurteil in Bezug genommenen Vertragsunterlagen noch dem revisionsrechtlich beachtlichen Parteivorbringen zu entnehmen.
In der Sache VII ZR 285/21 stand die Auffassung des dortigen Berufungsgerichts, der Wert der Nutzungen sei nicht mit den erfolgten Leasingzahlungen, sondern mit dem Wertverlust des Fahrzeugs während der Leasingzeit gleichzusetzen, im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, von der abzuweichen der Bundesgerichtshof keinen Anlass gesehen hat. Der Wertverlust des Fahrzeugs während der Leasingzeit ist kein geeigneter Maßstab zur Bemessung des Nutzungsvorteils. Der Wertverlust stellt keinen Vorteil dar, den der Leasingnehmer erlangt. Er entspricht auch nicht dem Wert der leasingmäßigen Fahrzeugnutzung.
Im Verfahren VII ZR 783/21 hatte das Berufungsgericht seiner Schätzung des während der Leasingzeit von der Klägerin erlangten Nutzungsvorteils durch Anwendung der für den Fahrzeugkauf anerkannten Berechnungsformel gleichfalls einen unrichtigen Maßstab zugrunde gelegt. Eine Vertragsgestaltung, bei der von vornherein feststeht, dass der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit übernimmt, war auch in diesem Fall weder den Feststellungen des Berufungsgerichts noch dem revisionsrechtlich beachtlichen Parteivorbringen zu entnehmen. Vielmehr sah die Leasing-Bestätigung eine abschließende Fahrzeugverwertung durch die Leasinggeberin über den Kraftfahrzeughandel vor. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass bereits der Leasingvertrag auf einen späteren Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin ausgerichtet gewesen sei, was sich insbesondere daran zeige, dass die Klägerin das Fahrzeug bereits im Jahr 2012 auf eigene Kosten habe umbauen lassen, lässt lediglich eine rechtlich nicht abgesicherte Erwerbsvorstellung der Klägerin erkennen, die eine Gleichbehandlung mit einem Fahrzeugkäufer bei der Vorteilsbemessung nicht rechtfertigt.
Die Klägerin hat ferner keinen Anspruch auf Erstattung der für das Sportfahrwerk (Gewindefahrwerk) aufgewendeten Kosten. Wie das Berufungsgericht insoweit unangefochten und zutreffend entschieden hat, kann die Klägerin keinen Schadensersatz für den im August 2016 erfolgten Fahrzeugkauf verlangen. Folglich besteht auch kein begründeter Anlass für eine Herausgabe des Fahrzeugs an die Beklagte. Vor diesem Hintergrund stellt der Einbau des Gewindefahrwerks keine ganz oder teilweise vergebliche, womöglich ersatzfähige Aufwendung dar.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 826 Sittenwidrige vorsätzliche SchädigungQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 048/2022 vom 21.04.2022
Druckansicht weniger Information02.03.2022
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte zu entscheiden, ob die Mieter der für eine Hochzeitsfeier gemieteten Räume zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet sind, wenn die Feier aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte. In dem entschiedenen Fall bestand die Besonderheit, dass die Feier ohnehin über eine Jahr nach der standesamtlichen Trauung stattfinden sollte und der Vermieter dem Ehepaar spätere Ausweichtermine angeboten hat (Urt. v. 02.03.2022, Az. XII ZR 36/21).
Die Kläger, die am 11. Dezember 2018 standesamtlich geheiratet hatten, mieteten bei der Beklagten Räume für eine am 1. Mai 2020 geplante Hochzeitsfeier mit ca. 70 Personen. Nach mündlichen Vertragsverhandlungen übersandte die Beklagte den Klägern eine auf den 5. April 2019 datierte Rechnung über die vereinbarte Miete von 2.600 €, die von den Klägern beglichen wurde. Die geplante Hochzeitsfeier konnte nicht durchgeführt werden, weil aufgrund der nordrhein-westfälischen Coronaschutzverordnung in der ab dem 27. April 2020 gültigen Fassung Veranstaltungen sowie Zusammenkünfte und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen untersagt worden waren. Am 23. März 2020 bot die Beklagte den Klägern unter Angabe von Alternativterminen an, die Hochzeitsfeier zu verschieben. Mit Schreiben vom 24. April 2020 baten die Kläger um Rückzahlung der geleisteten Miete und erklärten gleichzeitig den Rücktritt vom Vertrag.
Der u.a. für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass die Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie nicht zu einer Unmöglichkeit im Sinne der §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB geführt haben. Denn der Beklagten war es trotz des zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier in Nordrhein-Westfalen geltenden Veranstaltungsverbots und der angeordneten Kontaktbeschränkungen nicht unmöglich, den Klägern den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem vereinbarten Mietzweck zu gewähren. Ebenso zutreffend hat das Landgericht eine Minderung des Mietzinses nach § 536 Abs. 1 BGB abgelehnt. Durch die Coronaschutzverordnung wurde weder den Klägern die Nutzung der angemieteten Räume noch der Beklagten tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt stand daher trotz der Regelungen in der Coronaschutzverordnung, die die Durchführung der geplanten Hochzeitsfeier untersagte, weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung. Eine Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, stellt somit keinen Mangel der Mietsache iSv § 536 Abs. 1 BGB dar. Beides hat der Senat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 12. Januar 2022 (XII ZR 8/21) bereits ausgeführt. Gleiches gilt, wenn aus diesem Grund in Räumlichkeiten, die von Privatpersonen bei einem gewerblichen Anbieter angemietet wurden, eine dort geplante Veranstaltung nicht stattfinden konnte. Damit stand der Klägerin auch kein Recht zum Rücktritt nach § 326 Abs. 5 BGB oder zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags nach § 543 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB zu.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht den Klägern im vorliegenden Einzelfall auch kein Anspruch aus § 313 Abs. 1 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) auf Anpassung des Mietvertrags dahingehend zu, dass sie von ihrer Verpflichtung zur Zahlung der vereinbarten Miete vollständig oder teilweise befreit wären. Zwar kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsurteil vom 12. Januar 2022 – XII ZR 8/21) für den Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, ein solcher Anpassungsanspruch grundsätzlich in Betracht. Nach der vorliegenden Entscheidung gilt dies auch für Räume, die zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet wurden, wenn die Feier aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte.
Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter in diesen Fällen stets eine Anpassung der Miete verlangen kann. Ob ihm ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Die Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses; in aller Regel ist der Vertrag nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen. Nur wenn dies nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen.
Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Anpassungsanspruch der Kläger nach § 313 Abs. 1 BGB auf die von der Beklagten angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemierisikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. Die Beklagte hat den Klägern bereits am 23. März 2020 eine Vielzahl von Ausweichterminen, auch für das Jahr 2021, angeboten. Den Klägern wäre zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung eine Verlegung der Hochzeitsfeier auch zumutbar gewesen. Sie hatten bereits im Dezember 2018 standesamtlich geheiratet und die Hochzeitsfeier stand daher nicht, wie regelmäßig, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer standesamtlichen oder kirchlichen Trauung. Die Kläger haben auch keine anderen Gründe dafür vorgetragen, dass die Feier ausschließlich am 1. Mai 2020 und nicht auch zu einem späteren Termin hätte stattfinden können. Sollten sie inzwischen endgültig auf eine Hochzeitsfeier verzichten wollen, fiele diese Entscheidung allein in ihren Risikobereich und hätte daher auf die vorzunehmende Vertragsanpassung keine Auswirkung. Denn sie beträfe das allgemeine Verwendungsrisiko eines Mieters und stünde nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit der pandemiebedingten Störung der Geschäftsgrundlage.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 326 Befreiung von der Gegenleistung und Rücktritt beim Ausschluss der LeistungspflichtQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 029/2022 vom 02.03.2022
Druckansicht weniger Information21.02.2022
Der BGH hat entschieden, dass Käufern von vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Neuwagen, deren Anspruch nach § 826 BGB verjährt ist, ein Anspruch gegen den Hersteller aus § 852 Satz 1 BGB zusteht (Urt. v. 21.02.2022, Az. VIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21).
In beiden Verfahren nehmen die Kläger die beklagte Volkswagen AG auf Schadensersatz nach Erwerb eines Kraftfahrzeugs in Anspruch.
Der Kläger im Verfahren VIa ZR 8/21 erwarb im April 2013 zu einem Kaufpreis von 30.213,79 € einen Neuwagen VW Golf Cabrio "Life" TDI von der Beklagten als Herstellerin, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen war. Das Fahrzeug war bei Erwerb mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte.
Die Klägerin im Verfahren VIa ZR 57/21 erwarb im Juli 2012 zu einem Kaufpreis von 36.189 € einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen VW EOS 2.0 l TDI von einem Händler. Dieser Neuwagen war ebenfalls mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 versehen. Das Fahrzeug war wiederum bei Erwerb mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte.
Ab September 2015 wurde - ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 - über den sogenannten Abgasskandal betreffend Motoren des Typs EA 189 in den Medien berichtet. Beide Kläger ließen ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufspielen.
Das Landgericht Trier (Urt. v. 30.12.2020, Az. 5 O 119/20) hat auf die im Jahr 2020 erhobene Klage im Verfahren VIa ZR 8/21 die Beklagte wegen einer sittenwidrig vorsätzlichen Schädigung des Klägers unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zur Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen und zur Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten verurteilt. Die weitergehende Klage auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten hat das Landgericht abgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht Koblenz (Urt. v. 02.07.2021, Az. 8 U 140/21) die vom Landgericht zugesprochenen Klageanträge abgewiesen und die Anschlussberufung des Klägers, mit der er seinen Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten weiterverfolgt hat, zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt:
Zwar bestehe dem Grunde nach ein Anspruch des Klägers nach § 826 BGB gegen die Beklagte. Dieser Anspruch sei indessen verjährt. Wenn der Kläger im Jahr 2015 keine Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal erlangt habe, habe seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht. Ihm sei eine Klage gegen die Beklagte auch zumutbar gewesen. Die Beklagte dürfe sich in zweiter Instanz auf die Einrede der Verjährung berufen, obwohl sie in der ersten Instanz in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die Einrede der Verjährung zunächst fallen gelassen habe.
Einen (unverjährten) Anspruch auf Gewährung von Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB könne der Kläger gegen die Beklagte nicht geltend machen. Zwar habe der Kläger das Fahrzeug als Neuwagen direkt von der Beklagten erworben. Der Schutzzweck des § 852 Satz 1 BGB sei indessen zugunsten des Klägers nicht eröffnet. Die Vorschrift setze voraus, dass dem Geschädigten eine Rechtsverfolgung vor Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB erschwert oder unmöglich gewesen sei. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, zumal der Kläger Ansprüche in einem Musterfeststellungsverfahren habe anmelden können. Mangels des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs scheide die Feststellung des Annahmeverzugs aus.
Das Berufungsgericht hat die Revision "hinsichtlich des Herausgabeanspruchs nach Eintritt der Verjährung gemäß § 852 BGB" zugelassen. Mit seiner Revision hat der Kläger, der eine wirksame Zulassungsbeschränkung in Zweifel gezogen hat, sein Klagebegehren im Umfang der zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt.
Im Verfahren VIa ZR 57/21 hat das Landgericht Osnabrück (Urt. v. 05.10.2020, Az. 3 O 1935/20) die im Jahr 2020 erhobene Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises und Erstattung von Finanzierungskosten abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Überlassung des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten abgewiesen.
Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht Oldenburg (Urt. v. 15.07.2021, Az. 1 U 266/20) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Zwar lägen die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB vor. Dieser Anspruch sei jedoch mit Ablauf des 31. Dezember 2019 verjährt, weil die Klägerin im Februar 2016 aufgrund eines Informationsschreibens der Beklagten Kenntnis nicht nur von dem "sogenannten Diesel- oder Abgasskandal allgemein", sondern auch von der individuellen Betroffenheit ihres Fahrzeugs erlangt habe und ihr ab dem Jahr 2016 eine Klage gegen die Beklagte zumutbar gewesen sei. Die Beklagte habe sich auf die Einrede der Verjährung berufen und berufen dürfen, ohne dass ihr ein Verstoß gegen Treu und Glauben zur Last falle.
Der Klägerin stehe nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB kein Anspruch auf "Restschadensersatz" aus § 852 BGB zu. Zwar sei § 852 BGB grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn der Geschädigte schon vor Eintritt der Verjährung in der Lage gewesen sei, seinen Schadensersatzanspruch gerichtlich geltend zu machen. Die Klägerin habe indessen trotz eines entsprechenden Hinweises bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz keine Angaben zu dem von der Beklagten aus dem Verkauf des Fahrzeugs an den Händler erzielten Gewinn gemacht.
Das Berufungsgericht hat die Revision "in Anbetracht der divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung zum Umfang des im Fall des Neuwagenkaufs über einen Vertragshändler im Sinne des § 852 Satz 1 BGB Erlangten" zugelassen. Mit ihrer Revision hat die Klägerin, die eine wirksame Zulassungsbeschränkung in Zweifel gezogen hat, ihr Klagebegehren weiterverfolgt.
Der Der vom Präsidium des BGH vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat hat in beiden Verfahren auf die Revisionen der Kläger die Berufungsurteile insoweit aufgehoben, als die Berufungsgerichte einen Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage des von den Klägern verauslagten Kaufpreises verneint und den Anträgen auf Feststellung des Annahmeverzugs nicht entsprochen haben. Soweit die Kläger Ersatz vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt haben, hat der VIa. Zivilsenat die klageabweisenden Entscheidungen bestätigt. Das galt in der Sache VIa ZR 57/21 auch, soweit die Klägerin dort Ersatz der von ihr aufgewandten Finanzierungskosten beansprucht hat. Dabei waren folgende Erwägungen für die Entscheidungen leitend:
Der VIa. Zivilsenat ist davon ausgegangen, die Revision könne nicht wirksam auf die Frage des Bestehens eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB beschränkt werden. Vielmehr sei in beiden Verfahren nicht nur zu überprüfen, ob die Berufungsgerichte einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB rechtsfehlerfrei verneint hätten, sondern vorrangig auch, ob ihre Überlegungen zu einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB zuträfen.
Im Verfahren VIa ZR 57/21 war von einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB schon deshalb auszugehen, weil die Klägerin im Jahr 2016 über die konkrete Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch ein Schreiben unterrichtet worden war und ein Software-Update hatte aufspielen lassen. Im Verfahren VIa ZR 8/21 hat sich der VIa. Zivilsenat der Auffassung des VII. Zivilsenats angeschlossen, den Kläger habe jedenfalls ab dem Jahr 2016 jedenfalls der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal getroffen (vgl. Pressemitteilung Nr. 18/2022). Da beiden Klägern die Klageerhebung noch im Jahr 2016 zumutbar gewesen sei, habe die dreijährige Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB mit dem Schluss des Jahres 2016 begonnen und sei am 31. Dezember 2019 abgelaufen, so dass sie durch die Erhebung der Klagen im Jahr 2020 nicht mehr wirksam habe gehemmt werden können.
Der VIa. Zivilsenat hat weiter entschieden, dass sich die Beklagte auch im Verfahren VIa ZR 8/21 auf die Einrede der Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB berufen könne, obwohl sie auf diese Einrede in erster Instanz "verzichtet" habe. Diesen Verzicht habe das Berufungsgericht zutreffend nicht als endgültigen materiell-rechtlichen Verzicht gewertet. Richtig hätten beide Berufungsgerichte auch entschieden, dass es der Beklagten nach Treu und Glauben nicht verwehrt sei, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.
Nach Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB stehe den Klägern in beiden Verfahren aber ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB zu. Dieser Anspruch bestehe ohne Rücksicht darauf, dass die Beklagte auch vor Ablauf der Verjährung ohne Schwierigkeiten als Schädigerin hätte in Anspruch genommen werden können. Der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB stehe auch nicht entgegen, dass sich die Kläger nicht an einem Musterfeststellungsverfahren gegen die Beklagte beteiligt hätten.
Nach § 852 Satz 1 BGB müsse die Beklagte, die die Kläger durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs geschädigt habe, das von ihr Erlangte herausgeben. Erlangt habe die Beklagte im Verfahren VIa ZR 8/21 zunächst einen Anspruch gegen den Kläger aus dem Kaufvertrag. Nach Erfüllung der Forderung aus dem Kaufvertrag durch den Kläger habe die Beklagte als Ersatz im Sinne des § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB den Kaufpreis erlangt. Im Verfahren VIa ZR 57/21 habe die Beklagte eine Forderung gegen den Händler aus Kaufvertrag erlangt. Ihre Bereicherung setze sich nach Erfüllung dieser Forderung am Händlereinkaufspreis fort, der geringer war als der von der Klägerin später gezahlte Kaufpreis und dessen Höhe zwischen den Parteien im konkreten Fall nicht in Streit stand. Nicht "erlangt" habe die Beklagte dagegen Leistungen an die von den Klägern vorgerichtlich mandatierten Rechtsanwälte und von der Klägerin im Verfahren VIa ZR 57/21 verauslagte Finanzierungskosten, so dass sich der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB - anders als der verjährte Anspruch aus § 826 BGB - nicht auf solche Schäden erstrecke.
Von dem erlangten Kaufpreis (VIa ZR 8/21) bzw. Händlereinkaufspreis (VIa ZR 57/21) könne die Beklagte Herstellungs- und Bereitstellungskosten nach § 818 Abs. 3 BGB nicht abziehen, weil sie sich im Sinne der § 818 Abs. 4, § 819 BGB bösgläubig bereichert habe. Allerdings reiche der Anspruch auf Restschadensersatz aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht weiter als der Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB, der grundsätzlich der Vorteilsausgleichung unterliege. Die Kläger müssten sich deshalb eine Nutzungsentschädigung für die von ihnen mit den Fahrzeugen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen und könnten Zahlung nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Fahrzeuge verlangen.
Da die Vorinstanzen – von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen zur Höhe einer anzurechnenden Nutzungsentschädigung getroffen haben, hat der VIa. Zivilsenat die Sachen zur Klärung der Höhe anzurechnender Vorteile an die Berufungsgerichte zurückverwiesen.
Die Entscheidungen des BGH betreffen eine spezielle Frage im Rahmen der Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Fahrzeugkäufer im sog. "Dieselskandal". Die Schadensersatzansprüche der Autokäufer wegen sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB verjähren binnen drei Jahren zum Jahresende. Die Verjährung beginnt ab Kenntnis der Autokäufer von den Umständen, die den Schadensersatzanspruch begründen. Der Kenntnis steht der Zeitpunkt gleich, in dem der Käufer ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntis erlangen müssen. Bei dem Volkswagen-Motor EA 189, mit dem der "Dieselskandal" begann, geht der BGH davon aus, dass die Autokäufer spätestens im Jahr 2015 anhand der umfangreichen Presseberichterstattung Kenntnis erlangen mussten. Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB sind daher mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt. Es gibt jedoch eine spezielle Norm im Bereicherungsrecht, die Geschädigten unter Umständen auch noch nach Verjährung der Schadensersatzansprüche einen – wenn auch geringeren – Anspruch verschaffen kann. Dabei handelt es sich um § 852 BGB. Nach dieser Vorschrift soll der Schädiger einen Vorteil, den er durch die unterlaubte Handlung erlangt hat, auch bei Verjährung des Schadensersatzanspruchs nicht behalten dürfen, sondern an den Schädiger herausgeben müssen. Es stellt sich daher die Frage, ob der Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs nach Eintritt der Verjährung jedenfalls noch den sog. Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB geltend machen kann.
Diese Frage hatte der BGH mit Urteil vom 10.02.2022 verneint, weil der Hersteller bei einem Gebrauchtwagenverkauf weder unmittelbar noch mittelbar an einem etwaigen Verkäufergewinn aus diesem Kaufvertrag partizipiert. Wir hatten in unseren Hinweisen zu dem Urteil bereits darauf hingewiesen, dass die Frage für den Käfer eines Neuwagens anders zu beurteilen sein dürfte.
Tatsächlich hat der BGH nun entschieden, dass dem Käufer eines vom "Dieselskandal" betroffenen Neuwagens nach Verjährung des Schadensersatzanspruchs noch der Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB zusteht. Die Bereichung des Fahrzeugherstellers sieht der BGH in dem vom Händler erhaltenen Einkaufspreis. Der Hersteller könne Herstellungs- und Bereitstellungskosten für das Fahrzeug nicht abziehen, weil er sich bösgläubig bereichert habe. Da der Anspruch auf Restschadensersatz nicht weiter als der Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB reicht, müsse sich der Geschädigte aber eine Nutzungsentschädigung für die von ihm mit den Fahrzeugen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen und könne Zahlung nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Fahrzeuge verlangen. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Weil der Kaufpreis des Fahrzeugs abzüglich der Nutzungsvorteile nach Ablauf der Verjährungsfrist praktisch immer unter dem Einkaufspreis des Händlers liegt, erhalten die Käufer eines vom "Dieselskandal" betroffenen Neuwagens nach Verjährung des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB über den Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB praktisch Schadensersatz in selber Höhe.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 195 Regelmäßige VerjährungsfristQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 022/2022 vom 21.02.2022
Druckansicht weniger Information10.02.2022
Der BGH hat in fünf gleichzeitig verhandelten "Dieselverfahren" betreffend die Volkswagen AG, denen jeweils der Erwerb eines Gebrauchtwagens zugrunde lag, entschieden, dass nach Eintritt der Verjährung des gegen den Hersteller gerichteten Schadensersatzanspruchs des Erwerbers aus § 826 BGB kein Anspruch des Erwerbers gegen den Hersteller gemäß § 852 Satz 1 BGB besteht (Urt. v. 10.02.2022, Az. VII ZR 365/21, VII ZR 396/21, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21).
In den fünf Verfahren nahm die jeweilige Klagepartei die beklagte Volkswagen AG als Fahrzeug- bzw. Motorherstellerin auf Zahlung von Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Anspruch. Die von den Klageparteien jeweils gebraucht bei einem Autohändler bzw. einem Dritten erworbenen Fahrzeuge sind mit Dieselmotoren der Baureihe EA 189 (EU 5) ausgestattet. Diese verfügten zum Zeitpunkt des Kaufs über eine Software, welche erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Die Klageparteien verlangen jeweils im Wesentlichen - unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung - die Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Die Beklagte hat jeweils die Einrede der Verjährung erhoben.
Der Kläger im Verfahren VII ZR 365/21 erwarb im September 2015 einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Sharan TDI zum Preis von 24.400 €. Er hat im Juni 2020 Klage eingereicht.
Der Kläger im Verfahren VII ZR 396/21 erwarb im August 2011 einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Tiguan TDI zum Preis von 25.150 €. Er hat im Dezember 2019 Klage eingereicht, die im Februar 2020 zugestellt wurde.
Bisheriger Prozessverlauf:
Die Klagen hatten in den Vorinstanzen (Landgericht Stuttgart, Urt. v. 30.10.2020, Az. 18 O 173/20; Landgericht Rottweil, Urt. v. 16.12.2020, Az. 6 O 102/19) keinen Erfolg. Das Berufungsgericht (Oberlandesgericht Stuttgart, Urt. v. 30.03.2021, Az. 10 U 397/20 und 10 U 16/21) hat angenommen, dem Anspruch der Kläger aus § 826 BGB stehe die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Die dreijährige Verjährungsfrist habe gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB jeweils mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen und daher mit Ablauf des Jahres 2018, also jeweils vor Klageerhebung, geendet. Den Klägern stehe auch kein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB zu, da sie die Fahrzeuge als Gebrauchtwagen erworben hätten und die Beklagte nichts auf ihre Kosten erlangt habe.
Die Klägerin im Verfahren VII ZR 679/21 erwarb im April 2014 einen gebrauchten, von einer Tochtergesellschaft der Beklagten hergestellten Pkw Audi A1 Ambition 1,6 l TDI zum Preis von 19.800 €. Sie hat im Juli 2020 Klage eingereicht.
Der Kläger im Verfahren VII ZR 692/21 erwarb im Februar 2015 einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Tiguan Sport & Style zum Preis von 19.400 €. Er hat im September 2020 Klage eingereicht.
Der Kläger im Verfahren VII ZR 717/21 erwarb im März 2015 einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Passat zum Preis von 13.000 €. Er hat im September 2020 Klage eingereicht.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Landgericht Trier (Urt. v. 30.12.2020, Az. 5 O 148/20; Urt. v. 22.12.2020, Az. 5 O 268/20 und Urt. v. 03.02.2021, Az. 5 O 262/20) hatte den Klagen jeweils überwiegend stattgegeben, das Berufungsgericht (Oberlandesgericht Koblenz, Urt. v. 22.06.2021, Urt. v. 15.06.2021, Az. 3 U 105/21 und Urt. v. 15.06.2021, Az. 3 U 290/21) hat sie abgewiesen. Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus § 826 BGB seien verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist habe gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB mit dem Schluss der Jahre 2015 bzw. 2016 zu laufen begonnen und daher mit Ablauf der Jahre 2018 bzw. 2019, also jeweils vor Klageerhebung, geendet. Die von der Beklagten jeweils in erster Instanz "fallen gelassene" und in zweiter Instanz erneut erhobene Einrede der Verjährung sei zu beachten. Die Klageparteien hätten gegen die Beklagte auch keine Ansprüche aus § 852 Satz 1 BGB, da sie die Fahrzeuge als Gebrauchtwagen erworben hätten und die von ihnen entrichteten Kaufpreise der Beklagten nicht zugutegekommen seien.
Mit ihren in allen fünf Verfahren jeweils vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen haben die Klageparteien ihre Klagebegehren weiterverfolgt.
Der unter anderem für Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen, die den Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem Kraftfahrzeug mit Dieselmotor zum Gegenstand haben, zuständige VII. Zivilsenat des BGH hat in vier Verfahren die Revisionen zurückgewiesen; im fünften Verfahren (VII ZR 396/21) führte die Revision des dortigen Klägers zur Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Schadensersatzansprüchen der Klageparteien gemäß § 826 BGB stand in den Verfahren VII ZR 365/221, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21 die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen, weil die insoweit maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB jeweils vor Klageerhebung abgelaufen war. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 212/20 Rn. 14; Beschluss vom 15. September 2021 - VII ZR 294/20 Rn. 6; Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20 Rn. 20 ff.).
Dass die jeweilige Klagepartei allgemeine Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte, war in den Verfahren VII ZR 365/21 und VII ZR 679/21 unstreitig; in den drei übrigen Verfahren hatten die Berufungsgerichte dies aufgrund der gebotenen tatrichterlichen Würdigung rechtsfehlerfrei festgestellt.
In den Verfahren VII ZR 365/21 und VII ZR 717/21 konnte auf sich beruhen, ob den dortigen Klägern infolge grober Fahrlässigkeit die konkrete Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal im Jahr 2015 unbekannt geblieben war. Denn die Klageparteien hatten jedenfalls im Jahr 2016 aufgrund eines Kundenanschreibens der Beklagten, aus dem sich die Betroffenheit ihrer Fahrzeuge ergab, positive Kenntnis hiervon. Da ihnen die Klageerhebung noch im Jahr 2016 zumutbar war, konnte die erst 2020 eingereichte Klage die schon mit Ende des Jahres 2019 abgelaufene dreijährige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch aus
§ 826 BGB nicht mehr hemmen.
In den Verfahren VII ZR 679/21 und VII ZR 692/21 ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass die Klageparteien, die im Jahr 2015 allgemeine Kenntnis vom Dieselskandal erlangt und die sich bis Ende 2016 keine Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs verschafft hatten, obwohl dies anhand öffentlich zugänglicher Informationsquellen wie der von der Beklagten gestellten Online-Plattform leicht möglich gewesen wäre, der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von dieser Betroffenheit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB trifft und den Parteien die Klageerhebung noch im Jahr 2016 auch zumutbar war. Daher lief die dreijährige Verjährungsfrist auch hier jeweils Ende des Jahres 2019 ab.
Soweit im Verfahren VII ZR 396/21 das Berufungsgericht von einer solchen grob fahrlässigen Unkenntnis des dortigen Klägers schon im Jahre 2015 ausgegangen ist, erwies sich dies als rechtsfehlerhaft. Selbst wenn es dem Kläger noch in dem verbleibenden – kurzen – Zeitraum seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals und der Freischaltung der betreffenden Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass er in dem genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten. Mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen angekündigt hatte, war ein Zuwarten des Klägers zumindest bis zum Ende des Jahres 2015 nicht schlechterdings unverständlich. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB sei verjährt, konnte daher keinen Bestand haben.
Soweit – mit Ausnahme des Verfahrens VII ZR 396/21 – die jeweils mit der Klage geltend gemachten Ansprüche der Klageparteien aus § 826 BGB verjährt waren, haben die Berufungsgerichte einen Anspruch der Klageparteien gemäß § 852 Satz 1 BGB zu Recht verneint. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sollen demjenigen, der einen anderen durch unerlaubte Handlung schädigt und dadurch sein Vermögen mehrt, auch bei Verjährung des Schadensersatzanspruchs nicht die auf diese Weise erlangten Vorteile verbleiben. Die dem Anspruch zugrundeliegende Vermögensverschiebung kann auch durch einen oder mehrere Dritte vermittelt werden, solange sie in einem ursächlichen Zusammenhang mit der unerlaubten Handlung steht. Wenn ein Vermögensverlust beim Geschädigten einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger zur Folge gehabt hat, ist er daher nach § 852 Satz 1 BGB auch dann herauszugeben, wenn diese Vermögensverschiebung dem Schädiger durch Dritte vermittelt worden ist. Unberührt bleibt davon die Notwendigkeit, dass der Vermögenszuwachs auf dem Vermögensverlust des Geschädigten beruhen muss. Daher setzt ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB jedenfalls voraus, dass die Herstellerin im Verhältnis zum Geschädigten etwas aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat.
Jedenfalls in mehraktigen Fällen wie bei dem Kauf eines von der Herstellerin mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebrachten und von dem Geschädigten erst später von einem Dritten erworbenen Gebrauchtwagens führt der letztgenannte Erwerbsvorgang indes zu keiner Vermögensverschiebung im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und der Herstellerin. Denn der Herstellerin, die einen etwaigen Vorteil bereits mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs als Neuwagen realisiert hat, fließt im Zusammenhang mit dem im Abschluss des ungewollten Vertrags liegenden Vermögensschaden des Geschädigten durch ihre unerlaubte Handlung nichts – mehr – zu. Bei einem Gebrauchtwagenverkauf, der – wie hier – zwischen dem klagenden Geschädigten und einem Dritten abgeschlossen wird, partizipiert die Herstellerin weder unmittelbar noch mittelbar an einem etwaigen Verkäufergewinn aus diesem Kaufvertrag, sei es, dass der Gebrauchtwagen von einer Privatperson oder von einem Händler an den Geschädigten verkauft wurde. Deshalb scheidet in diesen Fällen ein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB aus.
Die Entscheidungen des BGH betreffen eine spezielle Frage im Rahmen der Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Fahrzeugkäufer im sog. "Dieselskandal". Die Schadensersatzansprüche der Autokäufer wegen sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB verjähren binnen drei Jahren zum Jahresende. Die Verjährung beginnt ab Kenntnis der Autokäufer von den Umständen, die den Schadensersatzanspruch begründen. Der Kenntnis steht der Zeitpunkt gleich, in dem der Käufer ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntis erlangen müssen. Bei dem Volkswagen-Motor EA 189, mit dem der "Dieselskandal" begann, geht der BGH davon aus, dass die Autokäufer spätestens im Jahr 2015 anhand der umfangreichen Presseberichterstattung Kenntnis erlangen mussten. Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB sind daher mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt. Es gibt jedoch eine spezielle Norm im Bereicherungsrecht, die Geschädigten unter Umständen auch noch nach Verjährung der Schadensersatzansprüche einen – wenn auch geringeren – Anspruch verschaffen kann. Dabei handelt es sich um § 852 BGB. Nach dieser Vorschrift soll der Schädiger einen Vorteil, den er durch die unterlaubte Handlung erlangt hat, auch bei Verjährung des Schadensersatzanspruchs nicht behalten dürfen, sondern an den Schädiger herausgeben müssen. Der BGH hatte daher zu entscheiden, ob die Volkswagen AG beim Weiterverkauf eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs als Gebrauchtwagen durch einen Händler oder eine Privatperson noch einen Vorteil erlangt, den sie herausgeben muss. Diese Frage hat der BGH verneint, weil der Hersteller bei einem Gebrauchtwagenverkauf weder unmittelbar noch mittelbar an einem etwaigen Verkäufergewinn aus diesem Kaufvertrag partizipiert.
Anders dürften die Erfolgsaussichten einer auf § 852 BGB gestützten Klage allerdings für einen Neuwagenkäufer aussehen. Hierüber hatte der BGH in den vorliegenden fünf Fällen zwar nicht zu entscheiden. Seine Ausführungen legen aber nahe, dass dem Käufer eines vom "Dieselskandal" betroffenen Neuwagens nach Verjährung des Schadensersatzanspruchs durchaus noch ein Anspruch aus § 852 BGB zustehen kann. Es ist zu erwarten, dass der BGH diese Frage in Kürze auch zu entscheiden haben wird. Neuwagenkäufer eines von Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs, deren Schadensersatzanspruch bereits verjährt ist, können damit noch Hoffnung haben, dass ihnen jedenfalls ein Anspruch aus § 852 BGB zusteht. Der Höhe nach dürfte sich ein solcher Anspruch auf die Gewinnmarge des Fahrzeugherstellers richten. Über deren Höhe wird in der juristischen Fachliteratur bereits lebhaft diskutiert wird. Die weitere Entwicklung bleibt also spannend.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 195 Regelmäßige VerjährungsfristQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 018/2022 vom 10.02.2022
Druckansicht weniger Information© 2022 Deutscher Verbraucherschutzverein e.V.