04.05.2023
Der BGH hat entschieden, dass in einem Mobilfunkvertrag die Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Telekommunikationsunternehmens unwirksam ist, mit der der Gebrauch des Internetzugangs auf Endgeräte beschränkt wird, die eine mobile Nutzung unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen Stromanschluss ermöglichen (Urt. v. 04.05.2023, Az. III ZR 88/22).
Der Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Das beklagte Telekommunikationsunternehmen verwendet in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Mobilfunkverträge mit Internetnutzung u.a. die folgende Bestimmung:
"Der mobile Internetzugang kann/darf nur mit Smartphones, Tablets oder sonstigen Geräten genutzt werden, die eine mobile Nutzung unabhängig von einem permanenten kabelgebundenen Stromanschluss ermöglichen (nicht z.B. in stationären LTE-Routern)."
Der Kläger nimmt die Beklagte darauf in Anspruch, es zu unterlassen, in Bezug auf Telekommunikationsverträge mit Verbrauchern diese oder eine inhaltsgleiche Klausel zu verwenden.
Der III. Zivilsenat des BGH hat die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die von der Beklagten verwendete Klausel hält einer Inhaltskontrolle nicht stand. Sie verstößt gegen die in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union normierte Endgerätewahlfreiheit und ist daher gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
Die gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV in allen ihren Teilen verbindliche und in jedem Mitgliedstaat unmittelbar geltende Verordnung (EU) 2015/2120 bestimmt in ihrem Art. 3 Abs. 1, dass Endnutzer eines Internetzugangsdienstes das Recht haben, den Internetzugang mit Endgeräten ihrer Wahl zu nutzen. Der Umfang dieser Endgerätewahlfreiheit richtet sich nicht danach, ob dem Internetzugangsdienst ein Mobilfunkvertrag, ein Festnetzvertrag oder ein anderer Vertragstyp zugrunde liegt. Anknüpfungspunkt für die Endgerätewahlfreiheit ist der Internetzugangsdienst und damit unabhängig von der verwendeten Netztechnologie und den verwendeten Endgeräten der durch den Dienst bereitgestellte Zugang zum Internet. Bei der Nutzung dieses Zugangs kann der Endnutzer grundsätzlich frei unter den zur Verfügung stehenden Endgeräten wählen.
Die Endgerätewahlfreiheit kann nicht wirksam abbedungen werden. Eine Regelung im Sinne der von der Beklagten verwendeten Klausel, die die Nutzung bestimmter Endgeräte ausschließt, obwohl sie technisch zur Herstellung einer Internetverbindung über das Mobilfunknetz geeignet sind, ist daher unwirksam.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 307 InhaltskontrolleAuszug aus der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (Text von Bedeutung für den EWR)
Artikel 3 Gewährleistung des Zugangs zum offenen InternetQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 077/2023 vom 04.05.2023
Druckansicht weniger Information27.04.2023
Der BGH hat heute über eine Klage auf Rückgewähr einer an eine Hochzeits-Fotografin geleisteten Anzahlung und auf Feststellung, dass ihr keine weiteren Vergütungsansprüche zustehen, weil die Kläger wegen Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie den Hochzeitstermin verlegten und deshalb von dem Vertrag zurücktraten bzw. diesen kündigten, entschieden (Urt. v. 27.04.2023, Az. VII ZR 144/22).
Die Kläger beabsichtigten, am 1. August 2020 kirchlich zu heiraten. Nachdem der Fotograf, der die standesamtliche Trauung begleitet hatte, zu diesem Termin verhindert war, wandten sich die Kläger an die Beklagte. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2019 bedankte sich die Beklagte für "die Beauftragung" und stellte für "Reportage Hochzeit 01.08.2020 (1. Teilbetrag)" 1.231,70 € von der insgesamt vereinbarten Vergütung in Höhe von 2.463,70 € in Rechnung. Die Kläger überwiesen den geforderten "1. Teilbetrag".
Die Kläger beabsichtigten, zu ihrer kirchlichen Hochzeit 104 Gäste einzuladen. Die Durchführung der so geplanten Hochzeit war aufgrund von Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie nicht möglich. Die Kläger planten deshalb neu eine Hochzeitsfeier für den 31. Juli 2021 und teilten der Beklagten mit E-Mail vom 15. Juni 2020 mit, für den neuen Termin den Fotografen beauftragen zu wollen, der am 1. August 2020 verhindert gewesen sei. Daraufhin forderte die Beklagte ein weiteres Honorar von 551,45 €, was die Kläger ablehnten. Diese verlangten vielmehr die Rückzahlung der bereits überwiesenen 1.231,70 € und erklärten wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage den "Rücktritt von dem vorstehend bezeichneten Vertrag bzw. dessen Kündigung".
Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 1.231,70 € und zusätzlicher 309,40 € für außergerichtliche Kosten sowie die Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sind, weitere 551,45 € an die Beklagte zu zahlen.
Die Klage ist vor dem Amtsgericht Gießen (Urt. v. 26.11.2021, Az. 43 C 63/21) erfolglos geblieben. Das Landgericht Gießen (Urt. v. 21.06.2022, Az. 1 S 1/22) hat die berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision haben die Kläger ihr Klagebegehren weiterverfolgt.
Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Werkverträge zuständige VII. Zivilsenat des BGH hat die Revision der Kläger zurückgewiesen.
Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Ansprüche der Kläger auf Rückgewähr der Anzahlung und Feststellung, eine weitere Vergütung von 551,45 € nicht zu schulden, verneint.
Ein Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung folgt nicht daraus, dass der Beklagten die von ihr geschuldete Leistung unmöglich geworden ist. Denn ihr war es trotz der zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier geltenden pandemiebedingten landesrechtlichen Vorgaben möglich, fotografische Leistungen für eine kirchliche Hochzeit und eine Hochzeitsfeier zu erbringen. Das betreffende Landesrecht erlaubte kirchliche Hochzeiten und Hochzeitsfeiern sowie die Erbringung von Dienstleistungen und Handwerkstätigkeiten. Soweit die Kläger die Hochzeit und die Hochzeitsfeier wegen der nicht einzuhaltenden Abstände von mindestens 1,5 m nicht im geplanten Umfang (104 Gäste) durchführen konnten, führt das nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.
Der Rückzahlungsanspruch folgt des Weiteren nicht aus einem Rücktrittsrecht der Kläger wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage oder einer ergänzenden Vertragsauslegung. Die ergänzende Vertragsauslegung, die Vorrang vor den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage hat, ergibt, dass die pandemiebedingte Verlegung der für den 1. August 2020 geplanten Hochzeit und der Hochzeitsfeier keinen Umstand darstellt, der die Kläger zum Rücktritt vom Vertrag berechtigte. Der Umstand, dass die Kläger nach Absage des vereinbarten Termins nur aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich der Beklagten liegen, einen anderen Fotografen bevorzugten, ist nach Treu und Glauben unter redlichen Vertragspartnern unerheblich und deshalb im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu berücksichtigen.
Den von den Klägern erklärten "Rücktritt" bzw. die "Kündigung" des Vertrags hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als freie Kündigung des Vertrags (§ 648 Satz 1 BGB) ausgelegt und darauf aufbauend einen Vergütungsanspruch der Beklagten aus § 648 Satz 2 BGB in Höhe von 2.099,00 € festgestellt. Dementsprechend besteht nicht nur kein Rückzahlungsanspruch der Kläger in Höhe von 1.231,70 €, sondern ist auch die negative Feststellungsklage der Kläger unbegründet. Deshalb können die Kläger schließlich die Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht verlangen.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 648 Kündigungsrecht des BestellersQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 073/2023 vom 27.04.2023
Druckansicht weniger Information24.04.2023
Der BGH hat entschieden, dass die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Finanzierungsbank enthaltene Klausel über die Sicherungsabtretung von Ansprüchen des Käufers und Darlehensnehmers gegen den Verkäufer und Hersteller eines Dieselfahrzeugs Ansprüche auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung erfasst und unwirksam ist (Urt. v. 24.04.2023, Az. VIa ZR 1517/22).
Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
Im März 2019 erwarb der Kläger von der Beklagten als Verkäuferin einen Mercedes GLC 250 für 55.335,89 € als Neuwagen. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse EURO 6) ausgestattet Der Kläger leistete eine Anzahlung in Höhe von 9.140,00 € an die Beklagte. Den Kaufpreis finanzierte er im Übrigen in Höhe von 46.195,89 € teilweise noch valutierend bei einer Bank (künftig Darlehensgeberin). Dem Darlehensvertrag lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Darlehensgeberin zugrunde. Dort hieß es unter anderem:
II. Sicherheiten
Der Darlehensnehmer räumt dem Darlehensgeber zur Sicherung aller gegenwärtigen und bis zur Rückzahlung des Darlehens noch entstehenden sowie bedingten und befristeten Ansprüche des Darlehensgebers aus der Geschäftsverbindung einschließlich einer etwaigen Rückabwicklung, gleich aus welchem Rechtsgrund, Sicherheiten gemäß nachstehenden Ziffern 1-3 ein. […]
[…]
3. Abtretung von sonstigen Ansprüchen
Der Darlehensnehmer tritt ferner hiermit folgende – gegenwärtige und zukünftige – Ansprüche an den Darlehensgeber ab, […] [der] diese Abtretung annimmt:
[…]
- gegen die [Beklagte] […], gleich aus welchem Rechtsgrund. Ausgenommen von der Abtretung sind Gewährleistungsansprüche aus Kaufvertrag des Darlehensnehmers gegen die […] [Beklagte] oder einen Vertreter der […] [Beklagten]. Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auf Anforderung jederzeit die Namen und Anschriften der Drittschuldner mitzuteilen.
[…]
6. Rückgabe der Sicherheiten
Der Darlehensgeber verpflichtet sich, nach Wegfall des Sicherungszweckes (alle Zahlungen unanfechtbar erfolgt) sämtliche Sicherungsrechte (Abschnitt II. Ziff. […] 3) zurückzuübertragen […] Bestehen mehrere Sicherheiten, hat der Darlehensgeber auf Verlangen des Darlehensnehmers schon vorher nach […] [seiner] Wahl einzelne Sicherheiten oder Teile davon freizugeben, falls deren realisierbarer Wert 120% der gesicherten Ansprüche des Darlehensgebers überschreitet […]"
Der Kläger hat die Beklagte in den Vorinstanzen unter dem Gesichtspunkt des Rücktritts vom Kaufvertrag und unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs auf Zahlung nebst Verzugszinsen an sich sowie auf Freistellung von restlichen Darlehensraten, Zug um Zug gegen Übergabe und Übertragung des Anwartschaftsrechts auf Rückübereignung des Fahrzeugs, in Anspruch genommen. Weiter hat er auf Feststellung des Annahmeverzugs und die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten angetragen.
Das Landgericht Stuttgart (Urt. v. 08.04.2021, Az. 24 O 283/20) hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht Stuttgart (Urt. v. 28.09.2022, Az. 23 U 2239/21) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger seine zweitinstanzlich gestellten Anträge weiterverfolgt, soweit er sie auf eine unerlaubte Handlung der Beklagten durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Der vom Präsidium des BGH vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Berufungsgericht hat zwar rechtsfehlerfrei erkannt, bei der Sicherungsabtretung von Ansprüchen gegen die Beklagte "gleich aus welchem Rechtsgrund" handele es sich um eine vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingung, die Bestandteil des Darlehensvertrags geworden ist. Es hat aber unzutreffend angenommen, die Abtretungsklausel sei wirksam, so dass der Kläger nicht aktivlegitimiert sei.
Die Abtretungsklausel ist so zu verstehen, mit Ausnahme von Gewährleistungsansprüchen aus Kaufvertrag erfasse sie jedenfalls sämtliche mit dem Erwerb des Fahrzeugs in Zusammenhang stehenden Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte. Damit sind auch solche Forderungen erfasst, die dem Darlehensnehmer als Verbraucher im Rahmen des von § 355 Abs. 3 Satz 1, § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB geregelten Rückabwicklungsverhältnisses nach Widerruf der auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung gegen die Beklagte erwachsen.
So verstanden hält die Abtretungsklausel einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 361 Abs. 2 Satz 1, § 355 Abs. 3 Satz 1, § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB ohne Wertungsmöglichkeit nicht stand, weil sie zulasten des Klägers als Verbraucher und Vertragspartner zweier verbundener Verträge von zu seinen Gunsten zwingenden Vorschriften abweicht.
Nach § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB in der auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Darlehensgeberin geltenden Fassung findet in Fällen, in denen wie hier der Kaufvertrag über das Fahrzeug und der Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag verbundene Verträge im Sinne des § 358 Abs. 3 BGB darstellen, im Falle des Widerrufs unter anderem § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB Anwendung, demzufolge die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren sind. Dabei tritt nach § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB der Darlehensgeber im Verhältnis zum Verbraucher (hier dem Darlehensnehmer und Käufer) hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs in die Rechte und Pflichten des Unternehmers aus dem verbundenen Vertrag (hier des Verkäufers) ein, wenn das Darlehen dem Unternehmer (hier dem Verkäufer) bei Wirksamwerden des Widerrufs bereits zugeflossen ist. § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB ordnet unter der Voraussetzung, dass das Darlehen bereits an den Unternehmer (hier den Verkäufer) geflossen ist, eine gesetzliche Schuldübernahme bzw. einen gesetzlichen Schuldnerwechsel und einen Anspruchsübergang an. Infolge dieser gesetzlichen Schuldübernahme ist der Darlehensgeber aufgrund der (halb-)zwingenden Vorgabe des § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB zugunsten des Verbrauchers (hier des Darlehensnehmers und Käufers) mit dem Wirksamwerden des Widerrufs verpflichtet, eine aus eigenen Mitteln des Darlehensnehmers und Käufers an den Unternehmer (hier den Verkäufer) geleistete Anzahlung an den Darlehensnehmer zu erstatten.
Die von der Darlehensgeberin in den Darlehensvertrag eingeführte Abtretungsklausel weicht von diesen zugunsten des Klägers zwingenden gesetzlichen Vorgaben ab. Sie führt in Fällen, in denen die Beklagte als Verkäuferin den Kaufpreis vereinnahmt hat, das Widerrufsrecht aber noch fortbesteht und vom Käufer und Darlehensnehmer später ausgeübt wird, dazu, dass der Käufer und Darlehensnehmer entgegen § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB eine von ihm aus eigenen Mitteln erbrachte Anzahlung auch dann nicht einredefrei herausverlangen oder mit einem Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung auch dann nicht gegen einen Anspruch des Darlehensgebers auf Wertersatz aufrechnen kann, wenn er seiner gesetzlichen Vorleistungspflicht auf Rückgabe des Fahrzeugs genügt hat. Denn auch in diesem Fall dient die zunächst gegen die Beklagte begründete und im Wege des Schuldnerwechsels gegen die Darlehensgeberin fortbestehende Forderung auf Rückgewähr der Anzahlung, wenn sie nicht schon wegen einer Vereinigung von Schuldner und Gläubiger der Forderung erlischt, nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Darlehensgeberin der Sicherung aller Ansprüche der Darlehensgeberin und damit im Falle des Widerrufs auch der Sicherung eines vom Verkäufer auf die Darlehensgeberin übergeleiteten Anspruchs auf Wertersatz. Der aufgrund der Sicherungsabtretung nicht aktivlegitimierte Käufer und Darlehensnehmer müsste daher auch dann, wenn er seiner Vorleistungspflicht im Hinblick auf das Fahrzeug genügt hätte, mit der Leistung von Wertersatz wegen der Nutzung des Fahrzeugs in Vorleistung treten, ohne sich nach dem Fälligwerden seiner Forderungen aus dem Rückgewährschuldverhältnis von dieser Leistungspflicht durch eine Aufrechnung mit seinem Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung befreien zu können. Darin läge mit der Folge der Unwirksamkeit der Klausel eine Verschlechterung der Position des Käufers und Darlehensnehmers gegenüber den gesetzlichen Vorgaben zur Rückabwicklung verbundener Verträge nach Widerruf.
Die wegen ihrer Abweichung von der zugunsten des Klägers als Käufer und Darlehensnehmer zwingenden gesetzlichen Vorgabe ohne Wertungsmöglichkeit unwirksame formularmäßige Sicherungsabtretung sämtlicher Ansprüche gegen die Beklagte mit Ausnahme solcher aus kaufrechtlicher Gewährleistung kann nicht mit der Maßgabe aufrechterhalten werden, dass andere Ansprüche als solche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach Widerruf und damit solche aus einer unerlaubten Handlung der Beklagten wirksam abgetreten sind. Ein solches Verständnis liefe auf eine geltungserhaltende Reduktion hinaus, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig ist. Darauf, dass der Kläger hier seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nicht widerrufen hat, sondern aus unerlaubter Handlung gegen die Beklagte vorgeht, kommt es nicht an. Die Klausel ist zu weit gefasst. Damit ist sie insgesamt unwirksam und der Kläger ohne Rücksicht auf einen Widerruf möglicher Inhaber von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung gegen die Beklagte.
Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung nunmehr in der Sache zu klären haben, ob die Beklagte dem Kläger aus unerlaubter Handlung haftet.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 134 Gesetzliches VerbotQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 071/2023 vom 24.04.2023
Druckansicht weniger Information20.04.2023
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Verpflichtung eines Maklerkunden zur Zahlung einer Reservierungsgebühr unwirksam ist (Urt. v. 20.04.2023, Az. I ZR 113/22).
Die Kläger beabsichtigten den Kauf eines von der Beklagten als Immobilienmaklerin nachgewiesenen Grundstücks mit Einfamilienhaus. Die Parteien schlossen einen Maklervertrag und im Nachgang dazu einen Reservierungsvertrag, mit dem sich die Beklagte verpflichtete, das Grundstück gegen Zahlung einer Reservierungsgebühr bis zu einem festgelegten Datum exklusiv für die Kläger vorzuhalten. Die Kläger nahmen vom Kauf Abstand und verlangen von der Beklagten die Rückzahlung der Reservierungsgebühr.
Das Amtsgericht Dresden (Urt. v. 23.04.2021, Az. 113 C 4884/20) hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht Dresden (Urt. v. 10.06.2022, Az. 2 S 292/21) hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Der Reservierungsvertrag sei wirksam. Er stelle eine eigenständige Vereinbarung mit nicht nach den §§ 307 ff. BGB kontrollfähigen Hauptleistungspflichten dar.
Der unter anderem für das Maklerrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs BGH() hat die Beklagte auf die Revision der Kläger zur Rückzahlung der Reservierungsgebühr verurteilt.
Der Reservierungsvertrag unterliegt der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, weil es sich dabei nach dem Inhalt der getroffenen Abreden nicht um eine eigenständige Vereinbarung, sondern um eine den Maklervertrag ergänzende Regelung handelt. Dass der Reservierungsvertrag in Form eines gesonderten Vertragsdokuments geschlossen wurde und später als der Maklervertrag zustande kam, steht dem nicht entgegen.
Der Reservierungsvertrag benachteiligt die Maklerkunden im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen und ist daher unwirksam, weil die Rückzahlung der Reservierungsgebühr ausnahmslos ausgeschlossen ist und sich aus dem Reservierungsvertrag weder für die Kunden nennenswerte Vorteile ergeben noch seitens des Immobilienmaklers eine geldwerte Gegenleistung zu erbringen ist. Außerdem kommt der Reservierungsvertrag der Vereinbarung einer erfolgsunabhängigen Provision zugunsten des Maklers gleich. Das widerspricht dem Leitbild der gesetzlichen Regelung des Maklervertrags, wonach eine Provision nur geschuldet ist, wenn die Maklertätigkeit zum Erfolg geführt hat.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 307 InhaltskontrolleQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 070/2023 vom 20.04.2023
Druckansicht weniger Information15.02.2023
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem Versicherungsnehmer unrichtig über die Form ihrer Widerspruchserklärung informiert worden waren. Der Senat hat in diesem Fall angenommen, dass ein Bereicherungsanspruch jedenfalls nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (nachfolgend: a.F.) ausgeschlossen ist, weil den Versicherungsnehmern durch den im Streitfall geringfügigen Belehrungsfehler nicht die Möglichkeit genommen worden ist, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (Urt. v. 15.02.2023, Az. IV ZR 353/21).
Die Klägerin machte aus behauptet abgetretenem Recht Ansprüche auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung fondsgebundener Lebens- und Rentenversicherungsverträge geltend. Diese Verträge wurden zwischen den jeweiligen Versicherungsnehmern und der Beklagten mit Versicherungsbeginn zum 1. November und 1. Dezember 2002 nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG a.F. abgeschlossen. Die Versicherungsnehmer kündigten die Verträge 2016 und 2017 und erklärten jeweils 2018 den Widerspruch nach § 5a VVG a.F.
Das Landgericht Berlin (Urt. v. 22.10.2020, Az. 24 O 26/20) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb vor dem Kammergericht Berlin (Beschl. v. 09.07.2021, Az. 6 U 1139/20) erfolglos. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruchs der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Ein vorrangiges schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers in den Fortbestand des Vertrags komme in Betracht, wenn Umstände vorlägen, die den Schluss darauf zuließen, dass der Versicherungsnehmer auch in Kenntnis seines Lösungsrechts vom Vertrag an diesem festgehalten hätte. Dies sei hier der Fall. Der Fehler der Belehrung über die einzuhaltende Schriftform anstelle der ausreichenden Textform für die Widerspruchserklärung könne die Versicherungsnehmer nicht ernsthaft von der Ausübung des Widerspruchsrechts innerhalb der bei ordnungsgemäßer Belehrung geltenden Frist abgehalten haben. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Der u.a. für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass die Ausübung des Widerspruchsrechts gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt, wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Denn dies stellt eine nur geringfügige, im Ergebnis folgenlose Verletzung der Pflicht des Versicherers zur ordnungsgemäßen Belehrung dar. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht dies für den hier zu beurteilenden Fall angenommen, in dem den Versicherungsnehmern die unrichtige Information über ein Recht zum schriftlichen Widerspruch erteilt wurde, obwohl nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der ab 1. August 2001 gültigen Fassung ein Widerspruch in Textform genügte.
Die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Ausübung des Widerspruchsrechts in diesem Fall steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU: C:2019:1123 = NJW 2020, 667), sodass eine Vorlage an diesen nicht veranlasst war. Dass der Gerichtshof hiervon mit seinem Urteil vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40) abweichen wollte, ist nicht ersichtlich. Diese Entscheidung bezieht sich auf Fälle, in denen eine der in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. L 133 S. 66) vorgesehenen zwingenden Angaben fehlt. Insoweit äußert sich der Gerichtshof zu der von ihm im Versicherungsvertragsrecht vorgenommenen Differenzierung nach der Bedeutung des Belehrungsmangels nicht.
Die Frage, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union unvereinbar ist, war ferner nicht entscheidungserheblich. Auch im Fall einer unterstellten Unionswidrigkeit des Policenmodells ist es dem - im Wesentlichen - ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer, der sich aus den genannten Gründen nicht auf die geringfügige Fehlerhaftigkeit der Belehrung berufen kann, nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten.
Zum Einwand von Treu und Glauben war eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ebenfalls nicht erforderlich. Die Maßstäbe für dessen Berücksichtigung sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden damit in Einklang. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zum unionsrechtlichen Grundsatz des Rechtsmissbrauchs in dessen Entscheidung vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a. aaO). Für den Bereich der Lebensversicherungen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Mitgliedstaaten die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts und der Mitteilung von Informationen, insbesondere zur Ausübung dieses Rechts, im Einzelnen regeln können. Das gilt sowohl für die Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung als auch für die Richtlinien 2002/83/EG und die Solvabilität II-Richtlinie. Dabei müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinien gewährleistet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019, Rust-Hackner u.a. aaO). Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof im Anschluss an seine Entscheidung vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a. aaO) für die Rechtsfolgen der Nichterfüllung oder der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung der in den Richtlinien vorgesehenen vorvertraglichen Mitteilungspflicht sowie in Bezug auf das dort niedergelegte Recht des Versicherungsnehmers auf Rücktritt vom Versicherungsvertrag bestätigt (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Februar 2022, A u.a. [Unit-Linked-Versicherungsverträge], C-143/20 und C-213/20, EU:C:2022:118 = NJW 2022, 1513 zur Richtlinie 2002/83/EG). Damit kommt es auf den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts zum Rechtsmissbrauch und dessen Voraussetzungen hier nicht an, sondern im Bereich der Lebensversicherungsrichtlinien ist ein Rückgriff auf den nationalen Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB zulässig, soweit die praktische Wirksamkeit der Richtlinien – wie hier - nicht beeinträchtigt wird.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 242 Leistung nach Treu und GlaubenAuszug aus dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in der Fassung vom 13.07.2001
§ 5aQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 030/2023 vom 15.02.2023
Druckansicht weniger Information24.01.2023
Der BGH hat erneut über Revisionen des Musterklägers, eines Verbraucherschutzverbands, und der Musterbeklagten, einer Sparkasse, gegen ein Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts Dresden über die Wirksamkeit von Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen entschieden (Urt. v. 24.01.2023, Az. XI ZR 257/21).
Die beklagte Sparkasse schloss seit Anfang der 1990er-Jahre mit Verbrauchern sogenannte Prämiensparverträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach - bis zu 50% der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte verzinsliche Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es u.a.:
"Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit …% p.a. verzinst."
oder
"Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, z.Zt. ...%, am Ende eines Kalender-/Sparjahres […]."
In den in die Sparverträge einbezogenen "Bedingungen für den Sparverkehr" heißt es weiter:
"Soweit nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist."
Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Er verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage sieben Feststellungsziele. Mit diesen macht er die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und eines monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die Verpflichtung der Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode vorzunehmen. Darüber hinaus möchte er festgestellt wissen, dass die Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens ab der wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden, dass mit der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen Zinsgutschriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in Gang setzende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen begründenden Umstände verbunden ist und dass die widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften im Sparbuch nicht dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung der Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen gegeben ist.
Das Oberlandesgericht Dresden (Musterfeststellungsurteil v. 31.03.2021, Az. 5 MK 2/20) hat der Musterfeststellungsklage teilweise stattgegeben. Der Musterkläger verfolgt seine Feststellungsziele mit der Revision weiter, soweit das Oberlandesgericht die Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und die Vornahme der Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode abgewiesen hat. Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes weiter.
Der u.a. für das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des BGH hat seine - nach Erlass des hier angefochtenen Musterfeststellungsurteils des Oberlandesgerichts – mit Urteil vom 6. Oktober 2021 (XI ZR 234/20; vgl. Pressemitteilung Nr. 182/21) ergangene Rechtsprechung in dem heute verkündeten Urteil bestätigt. Dementsprechend hat er auf die Revision des Musterklägers das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit dieses keinen für die Höhe der variablen Verzinsung maßgebenden Referenzzinssatz bestimmt hat. Insoweit hat er die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Darüber hinaus hat er entschieden, dass die Zinsanpassungen von der Musterbeklagten unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind.
Das Oberlandesgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, es könne einen Referenzzinssatz deswegen nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen, weil im Verfahren über die Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei, dass einzelne Sparverträge individuelle Vereinbarungen enthielten. Solche Individualvereinbarungen sind nur in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 Abs. 1 ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung im Musterfeststellungsverfahren aus. Da das Oberlandesgericht - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen zu einem geeigneten Referenzzinssatz getroffen hat, wird es dies nach Zurückverweisung des Musterverfahrens nachzuholen haben. Nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge ist es interessengerecht, als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen einen Zinssatz oder eine Umlaufrendite mit langer Fristigkeit heranzuziehen. Bei der Bestimmung des Referenzzinssatzes wird das Oberlandesgericht außerdem zu berücksichtigen haben, dass es sich bei den Sparverträgen um eine risikolose Anlageform handelt.
Nach der vom Senat vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung ist bei den Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beizubehalten. Nur eine solche Auslegung gewährleistet, dass das Grundgefüge der Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibt, so dass günstige Zinskonditionen günstig und ungünstige Zinskonditionen ungünstig bleiben. Dass sich die absolute Zinsmarge der Musterbeklagten bei Anwendung der Verhältnismethode im Fall eines Anstiegs des Referenzzinssatzes erhöht und im Fall eines Absinkens des Referenzzinssatzes reduziert, verstößt nicht gegen die Grundsätze des Preisanpassungsrechts, weil die Musterbeklagte keinen Einfluss auf die Höhe der Zinsanpassungen hat.
Das Oberlandesgericht wird erneut über die in einem Eventualverhältnis stehenden Anträge des Musterklägers betreffend den Referenzzinssatz zu entscheiden und dabei mit sachverständiger Hilfe im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen Referenzzinssatz zu bestimmen haben. Dabei wird es zu bedenken haben, dass zur Verfahrensbeschleunigung gemäß § 411a ZPO ein bereits erstelltes Sachverstän-digengutachten dann verwertet werden kann, wenn es in einem anderen Gerichtsverfahren eingeholt worden ist.
Auszug aus der Zivilprozessordnung (ZPO)
§ 411a Verwertung von Sachverständigengutachten aus anderen VerfahrenQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 014/2023 vom 24.01.2023
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