29.05.2024
Der BGH hat heute entschieden, dass die Verpackung eines Produkts in der Regel nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht ("Mogelpackung") wenn sie nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist (Urt. v. 29.05.2024, Az. I ZR 43/23).
Die Klägerin ist ein Verbraucherschutzverband. Die Beklagte vertreibt Kosmetik- und Körperpflegeprodukte.
Die Beklagte bewarb auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel in einer aus Kunststoff bestehenden Tube mit einer Füllmenge von 100 ml. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Der darüber befindliche, sich zum Falz der Tube stark verjüngende Bereich ist nicht durchsichtig, sondern silbern eingefärbt. Die Tube ist nur im durchsichtigen Bereich bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs mit Waschgel befüllt.
Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter, weil sie eine tatsächlich nicht gegebene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel suggeriere, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.
Das Landgericht Düsseldorf (Urt. v. 30.11.2021, Az. 37 O 42/20) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist vor dem OLG Düsseldorf (Urt. v. 23.03.2023, Az. 20 U 176/21) ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass die Verpackung zwar dann entgegen § 3a UWG in Verbindung mit § 43 Abs. 2 MessEG ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäusche, wenn der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehme. Im Falle des hier vorliegenden Online-Vertriebs fehle es jedoch an der Spürbarkeit eines Verstoßes gegen § 43 Abs. 2 MessEG, weil dem Verbraucher die konkrete Größe der Produktverpackung im Zeitpunkt der Beschäftigung mit dem Angebot und dem Erwerb des Produkts verborgen bleibe. Auch eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Täuschung über den Hohlraum in der Verpackung liege nicht vor.
Die Revision hat vor dem unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH Erfolg. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit § 43 Abs. 2 MessEG kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden. Insbesondere täuscht die beanstandete Produktgestaltung entgegen § 43 Abs. 2 MessEG ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch eine spürbare Interessenbeeinträchtigung vor. Der für diese Frage entscheidende Schutzzweck des § 43 Abs. 2 MessEG besteht darin, den Verkehr vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung ("Mogelpackung") zu schützen. Dieser Schutzzweck ist unabhängig vom Vertriebsweg stets betroffen, wenn - wie im Streitfall - eine Fertigpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach in relevanter Weise über ihre relative Füllmenge täuscht.
Der Bundesgerichtshof hat in der Sache selbst entschieden und die Beklagte zur Unterlassung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3, § 3 Abs. 1 und 2, § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG verurteilt.
Der Senat konnte dahinstehen lassen, ob die übrigen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 MessEG erfüllt sind, insbesondere, ob die Werbung für ein Produkt oder das bloße Angebot unter den Begriff der Bereitstellung auf dem Markt im Sinne des § 2 Nr. 1 MessEG fällt. Denn soweit - wie hier - Handlungen von Unternehmen gegenüber Verbrauchern betroffen sind, kommt die Vorschrift des § 43 Abs. 2 MessEG aufgrund der vollharmonisierenden Wirkung von Art. 3 und 4 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken nicht zur Anwendung, und die Beurteilung der Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung hat alleine nach § 5 UWG zu erfolgen.
Die beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt gegen § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG. Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium grundsätzlich vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Dies ist hier der Fall, da die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt ist und weder die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuverlässig verhindert noch die gegebene Füllmenge auf technischen Erfordernissen beruht.
Auszug aus dem Mess- und Eichgesetz (MessEG)
§ 43 Anforderungen an FertigpackungenAuszug aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
§ 3a RechtsbruchAuszug aus der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken
Art. 3 AnwendungsbereichQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 119/2024 vom 29.05.2024
Druckansicht weniger Information06.03.2024
Der BGH hat heute über die Frage entschieden, ob ein Hotelgast die Rückzahlung des von ihm vorausgezahlten Beherbergungsentgelts verlangen kann, wenn nach der Buchung ein behördliches Verbot der Beherbergung zu touristischen Zwecken zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlassen wird, das den gebuchten Zeitraum umfasst (Urt. v. 06.03.2024, Az. VIII ZR 363/21).
Die Klägerin buchte im Oktober 2019 zum Zweck einer touristischen Reise für sich und vier Mitreisende drei Doppelzimmer in einem Hotel der Beklagten in Lüneburg für den Zeitraum vom 14. Mai bis zum 16. Mai 2020. Hierbei wählte sie einen nicht stornierbaren Tarif. Das Beherbergungsentgelt zahlte sie im Voraus. Mit E-Mail vom 7. Mai 2020 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten, sie "storniere" die Buchung und bitte um Rückzahlung. Sie bezog sich dabei auf einen Beschluss der Niedersächsischen Landesregierung, wonach die Einschränkungen für das touristische Reisen bis zum 25. Mai 2020 gälten. Die Beklagte lehnte eine Rückzahlung ebenso wie eine von der Klägerin zuvor unter Hinweis auf die Reisebeschränkungen angefragte Verschiebung der Buchung um ein Jahr ab und bot der Klägerin lediglich eine Umbuchung auf die Zeit nach Aufhebung der Beschränkungen, jedoch nicht später als bis zum 30. Dezember 2020 an.
Die auf Rückzahlung des Beherbergungsentgelts gerichtete Klage hat vor dem AG Charlottenburg (Urt. v. 05.11.2020, Az. 205 C 149/20) weitgehend Erfolg gehabt. Das LG Berlin (Urt. v. 15.10.2021, Az. 28 S 23/20) hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt.
Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte gemäß § 346 Abs. 1 BGB auf Rückzahlung des Beherbergungsentgelts hat. Denn die Klägerin ist mit der E-Mail vom 7. Mai 2020 wirksam gemäß § 326 Abs. 5, § 323 Abs. 4 BGB von dem Beherbergungsvertrag zurückgetreten.
Der Beklagten war es durch das in § 1 Abs. 4 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus (in der Fassung von Art. 1 der Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Mai 2020) enthaltene generelle Verbot einer Beherbergung von Gästen zu touristischen Zwecken im Buchungszeitraum vom 14. Mai bis zum 16. Mai 2020 untersagt, die Hotelzimmer an die Klägerin und ihre Mitreisenden zu überlassen.
Der Beklagten war damit - wie der Bundesgerichtshof entschieden hat - die geschuldete Leistung rechtlich unmöglich geworden im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB. Unter den hier gegebenen Umständen ist das in Rede stehende - bis zum 25. Mai 2020 befristete - Beherbergungsverbot einem - zur rechtlichen Unmöglichkeit führenden - dauernden Leistungshindernis gleichzuachten. Denn das Beherbergungsverbot stellte die Erreichung des Vertragszwecks in Frage, weil die Klägerin mit der Buchung für einen kalendermäßig konkret bestimmten Zeitraum gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht hatte, dass sich ihr Interesse an der Nutzung der Hotelzimmer - wegen des von ihr und den Mitreisenden mit der Buchung verfolgten Zwecks einer gemeinsamen touristischen Reise - auf diese Leistungszeit bezieht. Ein weiteres Abwarten konnte der Klägerin bei billiger Abwägung der Belange beider Vertragsparteien nicht zugemutet werden. Für die Klägerin war es wegen des wechselhaften Infektionsgeschehens im Rahmen der COVID-19-Pandemie und wegen der bisherigen Entwicklung der staatlichen Maßnahmen zu deren Bekämpfung nicht absehbar, ob das für den Buchungszeitraum verlängerte Verbot - wie in einem Stufenplan der Niedersächsischen Landesregierung vorgesehen - tatsächlich Ende Mai 2020 entfallen würde und unter welchen Bedingungen gegebenenfalls im Anschluss daran touristische Reisen einschließlich Übernachtungen in Hotels wieder erlaubt sein würden.
Die Klägerin konnte - wie der Bundesgerichtshof weiter entschieden hat - bereits am 7. Mai 2020 wirksam zurücktreten, obwohl die Verlängerung des Beherbergungsverbots für den Buchungszeitraum erst durch die Verordnung vom 8. Mai 2020 und mit Wirkung ab dem 11. Mai 2020 erfolgte. Gemäß § 323 Abs. 4 BGB kann ein Gläubiger bereits vor Fälligkeit der Leistung zurücktreten, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts - insbesondere aufgrund eines unbehebbaren Leistungshindernisses - eintreten werden. Im Hinblick auf die bis dahin erfolgte Entwicklung der pandemiebedingten Beschränkungen des öffentlichen Lebens im Frühjahr 2020 und die in dem vorgenannten Stufenplan der Niedersächsischen Landesregierung erst für einen späteren Zeitpunkt vorgesehenen Öffnungsschritte betreffend touristische Hotelübernachtungen konnte die Klägerin im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der Beklagten eine Überlassung der Hotelzimmer im Buchungszeitraum noch nicht wieder erlaubt sein würde.
Das Rücktrittsrecht der Klägerin war auch nicht gemäß § 326 Abs. 5, § 323 Abs. 6 BGB ausgeschlossen. Insbesondere handelt es sich bei dem in Rede stehenden generellen Beherbergungsverbot nicht um einen in der Person des Gastes liegenden Umstand im Sinne des § 537 Abs. 1 Satz 1 BGB, der die Pflicht zur Zahlung des Beherbergungsentgelts unberührt ließe. Denn das Verbot war nach epidemiologischen Gesichtspunkten ausgewählt. Es knüpfte dabei weder an die Person oder spezifische Eigenschaften des einzelnen Gastes noch an solche des Mietobjekts an. Die Unmöglichkeit der Überlassung der Hotelzimmer war vielmehr Folge umfangreicher staatlicher Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, mit der sich ein die Gesellschaft als Ganzes treffendes allgemeines Lebensrisiko verwirklicht hat. Ein solches ist von der mietvertraglichen Risikoverteilung nach § 537 BGB jedoch nicht erfasst.
Schließlich konnte die Beklagte dem Rückabwicklungsbegehren der Klägerin nicht unter Berufung auf die Bestimmung zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) entgegenhalten, der Vertrag sei dahingehend anzupassen, dass der Beherbergungszeitraum verschoben werde. Das Gesetz regelt in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung (hier § 326 Abs. 5, § 323 Abs. 4 BGB) abschließend die Folgen der vorliegend in Rede stehenden Vertragsstörung. Daneben ist für eine Anwendung der Regelung über die Störung der Geschäftsgrundlage kein Raum.
Auszug aus dem Bügerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 275 Ausschluss der LeistungspflichtAuszug aus der Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74)
§ 1Quelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 048/2024 vom 06.03.2024
Druckansicht weniger Information© 2024 Deutscher Verbraucherschutzverein e.V.