18.12.2019
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute entschieden, dass der Betreiber eines privaten Parkplatzes vom Halter eines unter Verstoß gegen die Parkbedingungen abgestellten Pkws ein sog. erhöhtes Parkentgelt auch dann verlangen kann, wenn er zwar bestreitet, seinen PkW selbst gefahren zu haben, aber keine anderen Personen benennt, die zum fraglichen Zeitpunkt Zugang zu seinem PkW gehabt haben (Urt. v. 18.12.2019, Az. XII ZR 13).
Die Klägerin, ein mit der Bewirtschaftung privaten Parkraums befasstes Unternehmen, betreibt für die jeweiligen Grundstückseigentümer zwei Krankenhausparkplätze. Diese sind durch Hinweisschilder als Privatparkplätze ausgewiesen. Die Benutzung ist für eine Höchstparkdauer mit Parkscheibe kostenlos; zudem gibt es gesondert beschilderte, den Krankenhausmitarbeitern mit Parkausweis vorbehaltene Stellflächen. Durch Schilder ist darauf hingewiesen, dass bei widerrechtlich abgestellten Fahrzeugen ein "erhöhtes Parkentgelt" von mindestens 30 € erhoben wird. Die Beklagte ist Halterin eines Pkws, der im Oktober 2015 auf dem Parkplatz des einen Krankenhauses unter Überschreitung der Höchstparkdauer sowie im Mai und im Dezember 2017 unberechtigt auf einem Mitarbeiterparkplatz des anderen Krankenhauses abgestellt war. Die drei am Pkw hinterlassenen Aufforderungen zur Zahlung eines "erhöhten Parkentgelts" blieben erfolglos. Daraufhin ermittelte die Klägerin durch Halteranfragen die Beklagte als die Fahrzeughalterin. Diese bestritt, an den betreffenden Tagen Fahrerin des Pkws gewesen zu sein, und verweigerte die Zahlung.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung der "erhöhten Parkentgelte" sowie der Kosten der Halteranfragen und von Inkassokosten in einer Gesamthöhe von 214,50 €.
Das Amtsgericht Arnsberg (Urt. v. 1.08.2018, Az. 12 C 75/18) hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht Arnsberg (Urt. v. 16.01.2019, Az. I-3 S 110/18) hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen, weil Schuldner des "erhöhten Parkentgelts" nicht der Fahrzeughalter, sondern nur der Fahrer sei und die Beklagte wirksam ihre Fahrereigenschaft bestritten habe. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Zahlungsbegehren weiter.
Die Revision war erfolgreich. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Der unter anderem für die Leihe und das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass zwischen dem Betreiber eines privaten Parkplatzes und dem Fahrzeugführer ein Nutzungsvertrag zustande kommt, indem der Fahrzeugführer das in der Bereitstellung des Parkplatzes liegende Angebot durch das Abstellen des Fahrzeugs annimmt. Werde der Parkplatz – wie hier – unentgeltlich zur Verfügung gestellt, handele es sich nicht um einen Miet-, sondern um einen Leihvertrag. Durch die Hinweisschilder werde das "erhöhte Parkentgelt" als Vertragsstrafe in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen wirksam in den Vertrag einbezogen. Die Festlegung mit mindestens 30 € sei hinreichend bestimmt und der Höhe nach nicht unangemessen.
Nach Auffassung des Senats hat es das Landgericht zwar zu Recht abgelehnt, eine Haftung der Klägerin für diese Vertragsstrafe allein aus ihrer Haltereigenschaft abzuleiten. Insbesondere schulde der Halter keinen Schadensersatz wegen der Weigerung, die Person des Fahrzeugführers zu benennen, weil ihn gegenüber dem Parkplatzbetreiber keine entsprechende Auskunftspflicht treffe.
Anders als das Landgericht meint, habe die Beklagte aber ihre Fahrereigenschaft nicht wirksam bestritten. Ein Anscheinsbeweis dafür, dass der Halter eines Kfz auch dessen Fahrer war, bestehe allerdings nicht, weil Halter- und Fahrereigenschaft in der Lebenswirklichkeit häufig auseinanderfallen. Jedenfalls wenn die Einräumung der Parkmöglichkeit, wie im vorliegenden Fall, unentgeltlich in Form einer Leihe erfolge, könne sich der Halter jedoch nicht auf ein einfaches Bestreiten seiner Fahrereigenschaft beschränken. Vielmehr müsse er im Rahmen seiner sog. sekundären Darlegungslast dazu vortragen, wer als Nutzer des Pkws im fraglichen Zeitpunkt in Betracht kam.
Die grundsätzlich dem Kläger obliegende Darlegungs- und Beweislast, hier für die Fahrereigenschaft, könne nach den von der Rechtsprechung zum Beweis negativer Tatsachen entwickelten Grundsätzen eine Erleichterung erfahren. Danach treffe den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungspflichtige Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, hierzu näher vorzutragen. Diese Voraussetzungen hat der XII. Zivilsenat für den vorliegenden Fall bejaht.
Denn beim Parken auf einem privaten Parkplatz handele es sich um ein anonymes Massengeschäft, bei dem der Parkplatz nicht einem bestimmten Vertragspartner, sondern der Allgemeinheit zur – regelmäßig kurzzeitigen – Nutzung angeboten wird. Zu einem persönlichen Kontakt zwischen Betreiber und Fahrer als den beiden Vertragsparteien komme es regelmäßig nicht. Dies habe zwangsläufig zur Folge, dass dem Verleiher die Person des Fahrzeugführers als des Entleihers nicht bekannt sei. Dass der Parkplatzbetreiber das Abstellen des Fahrzeugs nicht von einer vorherigen Identifizierung des Fahrzeugführers abhängig mache, ist Bestandteil dieses Massengeschäfts und liege im Interesse der auf den einfachen Zugang auch zu privaten Parkplätzen angewiesenen Verkehrsöffentlichkeit. Er habe keine zumutbare Möglichkeit, die Identität seines Vertragspartners bei Vorliegen eines unberechtigten Abstellvorgangs und damit einer Verletzung seiner letztlich aus dem Eigentum folgenden Rechte im Nachhinein in Erfahrung zu bringen. Selbst wenn er – mittels gesteigerten Personalaufwands – den Fahrer bei dessen Rückkehr zum Fahrzeug anhalten würde, könne er dessen Personalien ebenso wenig ohne weiteres feststellen wie auf der Grundlage etwa von Videoaufnahmen. Jedenfalls von demjenigen, der Privatparkplätze unentgeltlich zur Verfügung stellt, könne auch nicht die Errichtung technischer Anlagen (etwa eines Schrankensystems) gefordert werden, die letztlich allein der Verhütung des Missbrauchs dieses Angebots dienen.
Im Gegensatz dazu sei es dem Halter, der unter Beachtung seiner prozessualen Wahrheitspflicht bestreitet, selbst gefahren zu sein, regelmäßig selbst mit einem gewissen zeitlichen Abstand ohne weiteres möglich und zumutbar, jedenfalls die Personen zu benennen, die im fraglichen Zeitraum die Möglichkeit hatten, das Fahrzeug als Fahrer zu nutzen. Denn er habe es regelmäßig in der Hand, wem er das Fahrzeug überlässt.
Das Landgericht wird der Beklagten daher nun Gelegenheit zu einem wirksamen Bestreiten ihrer Fahrereigenschaft unter Angabe der als Fahrer im Zeitpunkt des jeweiligen Parkverstoßes in Betracht kommenden Person einzuräumen und dann neu zu entscheiden haben.
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 164/2019
Druckansicht weniger Information27.11.2019
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat heute eine Grundsatzentscheidung dazu getroffen, welche Tätigkeiten einem Unternehmen aufgrund einer Registrierung als Inkassodienstleister nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz erlaubt sind (Urt. v. 27.11.2019, Az. VIII ZR 285/18).
Die Klägerin ("Lexfox") ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Berlin, die beim Kammergericht Berlin als Rechtsdienstleisterin für Inkassodienstleistungen registriert ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG). Auf der von ihr betriebenen Internetseite www.wenigermiete.de stellt sie einen für Besucher kostenlos nutzbaren "Online-Rechner" ("Mietpreisrechner") zur Verfügung. Sie wirbt unter anderem damit, Rechte von Wohnraummietern aus der Mietpreisbremse "ohne Kostenrisiko" durchzusetzen; eine Vergütung in Höhe eines Drittels "der ersparten Jahresmiete" verlange sie nur im Falle des Erfolges.
Im vorliegenden Fall beauftragte ein Wohnungsmieter aus Berlin die Klägerin mit der Geltendmachung und Durchsetzung seiner Forderungen und etwaiger Feststellungsbegehren im Zusammenhang mit der "Mietpreisbremse" (§ 556d BGB) und trat seine diesbezüglichen Forderungen an die Klägerin ab. Anschließend machte die Klägerin – nach vorherigem Auskunftsverlangen und Rüge gemäß § 556g Abs. 2 BGB – gegen die beklagte Wohnungsgesellschaft Ansprüche auf Rückzahlung überhöhter Miete sowie auf Zahlung von Rechtsverfolgungskosten geltend.
Die Klage hat vor dem Amtsgericht Lichtenberg (Urt. v. 07.11.2017, Az. 6 C 194/17) überwiegend erfolgt. Auf die Berufung der Beklagten Wohnungsgesellschaft hob das Landgericht Berlin (Urt. v. 28.08.2018, Az. 63 S 1/18) das Urteil auf und wies die Klage ab. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.
Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die hier zu beurteilende Tätigkeit der als Inkassodienstleisterin nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG registrierten Klägerin (noch) von der Befugnis gedeckt ist, Inkassodienstleistungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG - nämlich Forderungen einzuziehen - zu erbringen. Dies folgt in erster Linie bereits aus dem - eher weiten - Verständnis des Begriffs der Inkassodienstleistung, von dem der Gesetzgeber im Rahmen des Rechtsdienstleistungsgesetzes - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, NJW 2002, 1190; BVerfG, NJW-RR 2004, 1570) - ausgegangen ist.
Das Rechtsdienstleistungsgesetz dient dazu, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RDG). Demgemäß bestimmt § 3 RDG, dass die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig ist, in dem sie durch das Rechtsdienstleistungsgesetz oder andere Gesetze erlaubt wird.
Einen solchen Erlaubnistatbestand, in dessen Umfang die Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen zulässig ist, enthält § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG. Nach dieser Vorschrift dürfen registrierte Personen, die - wie im vorliegenden Fall die Klägerin - im Rechtsdienstleistungsregister eingetragen sind, aufgrund besonderer - theoretischer und praktischer (§ 11 Abs. 1, § 12 Abs. 1 Nr. 2 RDG) – Sachkunde (außergerichtliche) Rechtsdienstleistungen in dem Bereich der Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RDG) erbringen.
Allerdings führt ein Verstoß gegen § 3 RDG regelmäßig nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der zwischen dem Rechtsdienstleistenden und dessen Kunden getroffenen Inkassovereinbarung einschließlich einer vereinbarten Forderungsabtretung. Dies gilt, wie der Bundesgerichtshof heute entschieden hat, auch im Falle eines registrierten Inkassodienstleisters, sofern ihm eine eindeutige und nicht nur geringfügige Überschreitung seiner Dienstleistungsbefugnis zur Last fällt.
Der Gesetzgeber hat mit dem im Jahr 2008 in Kraft getretenen Rechtsdienstleistungsgesetz, wie sich aus den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens (BT-Drucks. 16/3655; 16/6634; BT-Plenarprotokoll 16/118, S. 12256 ff.) eindeutig ergibt, das Ziel einer grundlegenden, an den Gesichtspunkten der Deregulierung und Liberalisierung ausgerichteten Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen verfolgt. Hierbei wollte er ausdrücklich an die noch zum Rechtsberatungsgesetz ergangene und bereits in diese Richtung weisende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002, NJW 2002, 1190) anknüpfen, diese umsetzen und fortführen und hierbei zugleich den Deregulierungsbestrebungen der Europäischen Kommission im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs Rechnung tragen.
Dabei stand dem Gesetzgeber auch vor Augen, dass das Rechtsdienstleistungsgesetz die Entwicklung neuer Berufsbilder erlauben und damit, insbesondere mit Blick auf die nach der Einschätzung des Gesetzgebers zu erwartenden weiteren Entwicklungen des Rechtsberatungsmarktes, zukunftsfest ausgestaltet sein solle.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in dem vorstehend genannten Beschluss - in dem es ebenso wie im vorliegenden Fall um ein Inkassodienstleistungsunternehmen mit einer entsprechenden behördlichen Erlaubnis ging - hervorgehoben, dass mit der Rechtsberatung insbesondere durch ein Inkassounternehmen grundsätzlich die umfassende und vollwertige substantielle Beratung der Rechtsuchenden, wenn auch nur in einem bestimmten, im Gesetz genannten Sachbereich (wie der außergerichtliche Einziehung von Forderungen durch Inkassounternehmen) gemeint sei. Setze das Inkassounternehmen die von ihm verlangte, überprüfte und für genügend befundene Sachkunde bei der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen ein, so sei nicht erkennbar, dass damit eine Gefahr für den Rechtsuchenden oder den Rechtsverkehr verbunden sein könnte.
Vor dem Hintergrund der Ziele des Gesetzgebers und seiner der mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts übereinstimmenden Wertung, dass die Befugnis registrierter Inkassodienstleister die umfassende und vollwertige substantielle Beratung der Rechtsuchenden auf dem Gebiet der Inkassodienstleistungen umfasse, sind die Vorschriften der § 2 Abs. 2 Satz 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG dahin auszulegen, dass der Begriff der Inkassodienstleistung nicht in einem so engen Sinne verstanden werden darf, wie dies das Berufungsgericht getan hat und auch von einem Teil der Instanzgerichte und der Literatur vertreten wird.
Vielmehr ist insoweit - innerhalb des Rahmens des mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz verfolgten Schutzzwecks (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RDG) - eine eher großzügige Betrachtung geboten. Die auf der Grundlage dieser Maßstäbe vorgenommene Prüfung und Abwägung ergibt, dass die im vorliegenden Fall für den Mieter erbrachten Tätigkeiten der Klägerin - auch bei einer Gesamtwürdigung – (noch) als Inkassodienstleistung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG anzusehen und deshalb von der erteilten Erlaubnis gedeckt sind.
Dies gilt sowohl für den Einsatz des schon vor der eigentlichen Beauftragung durch den Kunden eingesetzten "Mietpreisrechner" als auch für die Erhebung der Rüge gemäß § 556g Abs. 2 BGB sowie das Feststellungsbegehren bezüglich der höchstzulässigen Miete. Sämtliche Maßnahmen hängen mit der Einziehung der Forderung, die den Gegenstand des "Inkassoauftrages" bildet (nämlich der Rückforderung überzahlter Mieten), eng zusammen und dienen der Verwirklichung dieser Forderung. Sie sind deshalb insgesamt (noch) als Inkassodienstleistung und nicht als Rechtsdienstleistung bei der Abwehr von Ansprüchen oder bei der Vertragsgestaltung und allgemeinen Rechtsberatung anzusehen, zu der eine Registrierung als Inkassodienstleister nicht berechtigt.
Wie der Bundesgerichtshof heute weiter entschieden hat, lässt sich - entgegen der von einem Teil der Instanzgerichte und der Literatur vertretenen Auffassung - eine Überschreitung der Inkassobefugnis der Klägerin auch nicht aus dem Gesichtspunkt möglicher Wertungswidersprüche zu den in einem vergleichbaren Fall für Rechtsanwälte geltenden - strengeren - berufsrechtlichen Vorschriften herleiten. Zwar wäre es einem Rechtsanwalt, der anstelle der Klägerin für den Mieter tätig geworden wäre, berufsrechtlich grundsätzlich weder gestattet, mit seinem Mandanten ein Erfolgshonorar zu vereinbaren (§ 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO, § 4a RVG), noch dem Mandanten im Falle einer Erfolglosigkeit der Inkassotätigkeit eine Kostenübernahme zuzusagen (§ 49b Abs. 2 Satz 2 BRAO. Hierin kann jedoch angesichts der für die Tätigkeit eines registrierten Inkassodienstleisters geltenden besonderen kosten- und vergütungsrechtlichen Vorschriften (§ 4 Abs. 1, 2 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz - RDGEG) ein Wertungswiderspruch, der Anlass und Berechtigung zu einer engeren Sichtweise hinsichtlich des Umfangs der Inkassodienstleistungsbefugnis geben könnte, nicht gesehen werden.
Die gegenteilige Auffassung verkennt, dass es sich bei den registrierten Inkassodienstleistern - im Gegensatz zu Rechtsanwälten - nicht um Organe der Rechtspflege handelt und der Gesetzgeber des Rechtsdienstleistungsgesetzes davon abgesehen hat, die registrierten Personen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 RDG), insbesondere die Inkassodienstleister, als einen rechtsanwaltsähnlichen Rechtsdienstleistungsberuf unterhalb der Rechtsanwaltschaft einzurichten und/oder die für Rechtsanwälte geltenden strengen berufsrechtlichen Pflichten und Aufsichtsmaßnahmen uneingeschränkt auf diese Personen zu übertragen.
Dementsprechend hat der Gesetzgeber, wie sich insbesondere aus den Vorschriften des § 4 Abs. 1, 2 RDGEG und den hierauf bezogenen Ausführungen in den Gesetzesmaterialien ergibt, die registrierten Inkassodienstleister von den für Rechtsanwälte geltenden Verbotsnormen bezüglich der Vereinbarung eines Erfolgshonorars sowie einer Kostenübernahme ausgenommen. Auch in der Rechtsprechung ist bereits seit langem - schon vor dem Inkrafttreten des Rechtsdienstleistungsgesetzes - anerkannt, dass ein Inkassounternehmen - wie in der Praxis auch üblich - mit seinem Kunden ein Erfolgshonorar vereinbaren darf.
Wie der Bundesgerichtshof in seinem heute verkündeten Urteil ebenfalls entschieden hat, führt die zwischen dem Mieter und der Klägerin getroffene Vereinbarung eines Erfolgshonorars und einer Kostenübernahme auch nicht zu einer Interessenkollision im Sinne des § 4 RDG und einer daraus folgenden Unzulässigkeit der von der Klägerin für den Mieter erbrachten Inkassodienstleistungen. Nach dieser Vorschrift dürfen Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, nicht erbracht werden, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird.
Bei der vereinbarten Kostenübernahme handelt es sich schon nicht um eine "andere Leistungspflicht" der Klägerin im Sinne des § 4 RDG, sondern vielmehr um einen Bestandteil der von ihr für den Mieter zu erbringenden Inkassodienstleistung. Im Übrigen bewirkt das vorliegend vereinbarte Erfolgshonorar, das sich nach der Höhe der durch ihre Tätigkeit ersparten Miete richtet, ein beträchtliches eigenes Interesse der Klägerin an einer möglichst erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche des Mieters. Der damit - jedenfalls weitgehend - vorhandene (prinzipielle) Gleichlauf der Interessen der Klägerin und des Mieters steht der Annahme einer Interessenkollision im Sinne des § 4 RDG entgegen.
Da der Klägerin somit vorliegend ein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz nicht zur Last fiel, war die zwischen dem Mieter und der Klägerin vereinbarte Abtretung wirksam. Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, damit die bisher nicht getroffenen Feststellungen zum Bestehen der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche nachgeholt werden können.
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 153/2019
Druckansicht weniger Information09.10.2019
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich heute mit den Maßstäben befasst, nach denen sich die Abwägung zwischen den Interessen der Mietvertragsparteien richtet, wenn sich der Wohnraummieter gegenüber einer Modernisierungsmieterhöhung auf das Vorliegen einer unzumutbaren Härte (§ 559 Abs. 4 Satz 1 BGB) beruft. Zugleich hat er die Voraussetzungen präzisiert, unter denen der Härteeinwand des Mieters nach § 559 Abs. 4 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist, weil die Modernisierungsmaßnahme (hier: Wärmedämmmaßnahmen bei Erneuerung eines teilweise schadhaften Außenputzes) aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung des Vermieters durchgeführt wurde (Urt. v. 09.10.2019, Az. VIII ZR 21/19).
Der Kläger ist Mieter einer knapp 86 qm großen Wohnung der Beklagten in Berlin, in der er seit seinem fünften Lebensjahr wohnt und die er inzwischen allein nutzt. Die Wohnung liegt in einem Mehrfamilienhaus aus dem Jahr 1929. Der Mietvertrag über die Wohnung wurde im Jahr 1962 von den Eltern des Klägers abgeschlossen. Der Kläger bezieht Arbeitslosengeld II und erhält zur Deckung der Wohnungsmiete monatlich einen Betrag von ca. 463,10 €. Seit Juni 2016 betrug die Kaltmiete für die Wohnung 574,34 € pro Monat zuzüglich eines Heizkostenvorschusses in Höhe von 90,- €.
Die beklagte Vermieterin ließ Dämmungsarbeiten an der obersten Geschossdecke und der Außenfassade durchführen, ersetzte die bisherigen Balkone durch größere Balkone mit einer Fläche von jeweils ca. 5 qm und nahm einen seit den 1970-iger Jahren stillgelegten Fahrstuhl wieder in Betrieb.
Ende März 2016 erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber schriftlich die Erhöhung der Kaltmiete ab dem 1. Januar 2017 um 240,- € monatlich. Hiervon entfielen nach ihren Erläuterungen 70,- € auf die Dämmungsarbeiten (davon 4,16 € auf die Dämmung der obersten Geschossdecke), 100,- € auf den Anbau der neuen Balkone und weitere 70,- € auf die Wiederinbetriebnahme des Fahrstuhls. Hiergegen wandte der Kläger ein, die Mieterhöhung bedeute für ihn eine finanzielle Härte. Er erhob Klage auf Feststellung, dass er nicht zur Zahlung der verlangten Mieterhöhung von 240 € monatlich verpflichtet sei.
Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg (Urt. v. 16.08.2017, Az. 234 C 257/16) hat lediglich festgestellt, dass der Mieter nicht zur Zahlung der Mieterhöhung von 70 € für die Wiederinbetriebnahme des Fahrstuhls verpflichtet sei. Im Übrigen hat es die Feststellungsklage des Mieters abgewiesen.
Auf die Berufung des Mieters hat das Landgericht Berlin (Urt. v. 14.11.2018, Az. 64 S 197/17) das erstinstanzliche Urteil abgeändert und festgestellt, dass dieser aufgrund seines Härteeinwands ab dem 1. Januar 2017 zur Zahlung einer Mieterhöhung von mehr als 4,16 € monatlich nicht verpflichtet sei. Denn er schulde weder für den Anbau eines größeren Balkons noch für die Fassadendämmung eine Mieterhöhung. Zu zahlen habe er nur den auf die Dämmung der obersten Geschossdecke entfallenden Betrag von zusätzlich 4,16 € monatlich. Die weiteren Mieterhöhungen (100,- € für den Balkonanbau und 65,84 € für die Dämmung der Außenfassade) seien unwirksam, weil sie für den Mieter jeweils eine finanzielle Härte bedeuteten, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Vermieterin nicht zu rechtfertigen sei. Hiergegen wendet sich diese mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
Die beklagte Vermieterin hat im Revisionsverfahren vor allem geltend gemacht, dass nach den für staatliche Transferleistungen geltenden Vorschriften für einen Einpersonenhaushalt lediglich eine Wohnfläche von 50 qm als angemessen gelte. Die Wohnung des – Arbeitslosengeld II beziehenden – Mieters sei aber knapp 86 qm groß und übersteige damit diese Grenze erheblich. Letztlich laufe die einen Härtefall bejahende Entscheidung des Berufungsgerichts darauf hinaus, dass der Vermieter den "Luxus" des Mieters zu finanzieren habe.
Der VIII. Zivilsenat des BGH hat den Einwand der Vermieterin nicht durchgreifen lassen. Der Umstand, dass ein Mieter gemessen an seinen wirtschaftlichen Verhältnissen und seinen Bedürfnissen eine viel zu große Wohnung nutzt, ist zwar in die nach § 559 Abs. 4 Satz 1 BGB vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen zu Lasten des Mieters einzubeziehen. Ein solcher Sachverhalt liegt jedoch nicht bereits dann vor, wenn der Mieter eine Wohnung nutzt, die gemessen an den Ausführungsvorschriften zur Gewährung von staatlichen Transferleistungen oder an den Vorschriften für die Bemessung von Zuschüssen für den öffentlich geförderten Wohnungsbau zu groß ist.
Die Vorschriften zur angemessenen Wohnungsgröße bei staatlichen Transferleistungen sollen sicherstellen, dass sich ein Hilfebedürftiger nicht auf Kosten der Allgemeinheit eine zu große Wohnung leistet. Die Bestimmung des § 559 Abs. 4 Satz 1 BGB verfolgt indessen einen anderen Regelungszweck. Hier gilt es abzuwägen, ob der Mieter, der sich einer von ihm nicht beeinflussbaren Entscheidung des Vermieters über die Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen ausgesetzt sieht, trotz des Refinanzierungsinteresses des Vermieters seinen bisherigen Lebensmittelpunkt beibehalten darf.
Weiter ist zu beachten, dass nicht nur der Vermieter, sondern auch der Mieter den Schutz der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG genießt. Daher kann er bei der Anwendung des § 559 Abs. 4 Satz 1 BGB und der Auslegung des dort enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffs "Härte" verlangen, dass die Gerichte die Bedeutung und Tragweite seines Bestandsinteresses hinreichend erfassen und berücksichtigen.
Gemessen daran kann die einer Berufung auf einen Härtefall nach § 559 Abs. 4 Satz 1 BGB im Einzelfall entgegenstehende Unangemessenheit einer Wohnung nicht isoliert nach einer bestimmten Größe für die jeweilige Anzahl der Bewohner bestimmt werden. Vielmehr kommt es darauf an, ob die vom Mieter genutzte Wohnung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls – etwa auch der Verwurzelung des Mieters in der Wohnung und seiner gesundheitlichen Verfassung - für seine Bedürfnisse deutlich zu groß ist.
Hier hat das Berufungsgericht zutreffend als maßgeblichen Gesichtspunkt berücksichtigt, dass der Mieter schon seit dem Jahr 1962 und mithin seit rund 55 Jahren in der Wohnung lebt und ihm deshalb entgegen der Auffassung der Vermieterin nicht vorgehalten werden kann, dass er schon seit Beginn des Mietverhältnisses "über seine Verhältnisse" lebe.
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Vermieterin erstmals in der Revisionsverhandlung pauschal eingewendet hat, der Mieter sei gehalten gewesen, einen Teil der Wohnung unterzuvermieten und sich dadurch finanzielle Mittel zu verschaffen, handelt es sich um neuen Sachvortrag der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Vermieterin, der schon deshalb in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden kann. Zudem ist offen, ob die Wohnung überhaupt zur Untervermietung geeignet ist, ob die Vermieterin einer solchen zu den bisherigen Konditionen zustimmen würde und ob dem Mieter überhaupt ein Zusammenleben mit einem Untermieter zuzumuten ist.
Der Bundesgerichtshof hat somit die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts zum Vorliegen einer unzumutbaren Härte gebilligt. Gleichwohl musste das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, weil dieses keine ausreichenden Feststellungen zum Vorliegen der Ausnahmefälle des § 559 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 und 2 BGB getroffen hat, bei deren Vorliegen ein Härteeinwand des Mieters gesetzlich ausgeschlossen ist.
Bezüglich der Modernisierungsmaßnahme "Vergrößerung der Balkone auf 5 qm" hat das Berufungsgericht keine tragfähigen Feststellungen zu der entscheidenden Frage getroffen, ob Balkone dieser Größe allgemein üblich, also bei mindestens 2/3 aller vergleichbaren Gebäude gleichen Alters unter vergleichbaren Verhältnissen in der Region anzutreffen sind. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lassen sich allein aus dem Umstand, dass der Berliner Mietspiegel einen Balkon ab 4 qm Fläche als wohnwerterhöhendes Merkmal einstuft, insoweit keine verlässlichen Schlussfolgerungen ziehen.
Hinsichtlich der Modernisierungsmaßnahme "Fassadendämmung" hat das Berufungsgericht verkannt, dass § 9 Abs. 1 EnEV dem Eigentümer im Falle der Erneuerung des Außenputzes an Fassadenflächen zwar vorgibt, Wärmedämmungsmaßnahmen durchzuführen, ihm aber eine Verpflichtung, den Außenputz zu erneuern, gerade nicht auferlegt. Vielmehr steht es regelmäßig im freien Belieben des Vermieters, ob und wann er eine Erneuerung des Außenputzes vornimmt. Erst wenn er sich hierzu entschlossen hat, verpflichtet ihn das Gesetz zur Einhaltung bestimmter Wärmedämmwerte.
§ 559 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BGB schließt den Härteeinwand des Mieters aber nur dann aus, wenn der Vermieter die Durchführung einer Modernisierungsmaßnahme nicht zu vertreten hat, sich ihr also aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften nicht entziehen kann. Es kommt daher darauf an, ob für den Vermieter eine Erneuerung des Außenputzes "unausweichlich" ist, etwa weil dieser aufgrund altersbedingten Verschleißes zu erneuern ist und sich der Vermieter zudem einem berechtigten Instandsetzungsbegehren des Mieters oder einer (bestandskräftigen) behördlichen Anordnung ausgesetzt sieht beziehungsweise die Beseitigung von Schäden dringend aus Sicherheitsgründen geboten ist. Nur im Falle einer solchen "Unausweichlichkeit" befindet sich der Vermieter in einer Zwangslage, die den Ausschluss des Härteeinwands des Mieters nach § 559 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BGB rechtfertigt.
Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden, damit – gegebenenfalls nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien – die erforderlichen Feststellungen getroffen werden können.
§ 555b Modernisierungsmaßnahmen
Modernisierungsmaßnahmen sind bauliche Veränderungen,
1. durch die in Bezug auf die Mietsache Energie nachhaltig eingespart wird (energetische Modernisierung),
…
4. durch die der Gebrauchswert der Mietsache nachhaltig erhöht wird,
…
§ 559 Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen
(1) Hat der Vermieter Modernisierungsmaßnahmen im Sinne des § 555b Nummer 1, 3, 4, 5 oder 6 durchgeführt, so kann er die jährliche Miete um 8 Prozent der für die Wohnung aufgewendeten Kosten erhöhen.
…
(4) 1Die Mieterhöhung ist ausgeschlossen, soweit sie auch unter Berücksichtigung der voraussichtlichen künftigen Betriebskosten für den Mieter eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. 2Eine Abwägung nach Satz 1 findet nicht statt, wenn
1. die Mietsache lediglich in einen Zustand versetzt wurde, der allgemein üblich ist, oder
2. die Modernisierungsmaßnahme auf Grund von Umständen durchgeführt wurde, die der Vermieter nicht zu vertreten hatte.
…
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 131/2019
Druckansicht weniger Information20.09.2019
Der Bundesgerichtshofs (BGH) hat heute entschieden, dass ein Grundstückseigentümer von seinem Nachbarn in aller Regel nicht die Beseitigung von Bäumen wegen der von ihnen ausgehenden natürlichen Immissionen auf sein Grundstück verlangen kann, wenn die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen eingehalten sind (Urt. v. 10.09.2019, Az. V ZR 218/18).
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die in Baden-Württemberg belegen und mit Wohnhäusern bebaut sind. Auf dem Grundstück des Beklagten stehen in einem Abstand von mindestens zwei Meter zu der Grenze drei ca. 18 Meter hohe, gesunde Birken. Wegen der von den Birken ausgehenden Immissionen (Pollenflug, Herausfallen der Samen und Früchte, Herabfallen der leeren Zapfen sowie der Blätter und Birkenreiser) verlangt der Kläger mit dem Hauptantrag deren Entfernung und hilfsweise eine monatliche Zahlung von jeweils 230 € in den Monaten Juni bis November eines jeden Jahres.
Das Amtsgericht Maulbronn (Urt. v. 13.11.2015, Az. 2 C 425/14) hat die Klage mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht Karlsruhe (Urt. v. 01.08.2018, Az. 19 S 3/16) den Beklagten zur Beseitigung der Birken verurteilt.
Der V. Zivilsenat des BGH hat der Revision des Beklagten stattgegeben und das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.
Ein Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Beklagte Störer im Sinne dieser Vorschrift ist. Hierfür genügt nicht bereits das Eigentum an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht. Vielmehr ist die Feststellung erforderlich, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen. Wenn es um durch Naturereignisse ausgelöste Störungen geht, ist entscheidend, ob sich die Nutzung des Grundstücks, von dem die Beeinträchtigungen ausgehen, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält. So hat der Senat die Störereigenschaft beispielsweise verneint bei Umstürzen nicht erkennbar kranker Bäume infolge von Naturgewalten. In aller Regel ist von einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung auszugehen, wenn – wie hier gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4a i.V.m. Abs. 2 Satz 1 NRG-BW a. F. - die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen eingehalten sind. Kommt es trotz Einhaltung der Abstandsgrenzen zu natürlichen Immissionen auf dem Nachbargrundstück, ist der Eigentümer des Grundstücks hierfür nach der von dem Gesetzgeber vorgenommenen Wertung regelmäßig nicht verantwortlich. Aus Art. 124 EGBGB folgt nichts anderes. Richtig ist zwar, dass der Landesgesetzgeber nicht dem Nachbarn Rechte nehmen kann, die sich aus § 1004 Abs. 1 BGB ergeben. Darum geht es hier jedoch nicht. Vielmehr stellt sich die (Vor-)Frage, ob ein Grundstückseigentümer für natürliche Immissionen überhaupt verantwortlich ist. Scheidet dies aus, gibt es den von dem Berufungsgericht beschriebenen Konflikt zwischen den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs und den landesrechtlichen Vorschriften nicht. Zudem sprechen §§ 907, 910 BGB und die Gesetzesmaterialien zu diesen Vorschriften dafür, dass der Grundstückseigentümer für solche natürlichen Einwirkungen auf das Nachbargrundstück, die von § 910 BGB (Überhang) nicht erfasst werden, regelmäßig nicht verantwortlich sein soll, wenn die Anpflanzungen mit dem Landesnachbarrecht in Einklang stehen. Ein Beseitigungsanspruch lässt sich auch nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis herleiten, da die Beeinträchtigungen zwar erheblich, aber nicht derart schwer sind, dass der Kläger sie trotz der in § 16 Abs. 1 Nr. 4a i.V.m. Abs. 2 Satz 1 NRG-BW a. F zum Ausdruck gekommenen Wertung nicht mehr hinzunehmen hätte.
Der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Anspruch auf eine Entschädigung von monatlich 230 € in den Monaten Juni bis November besteht nicht. Da der Beklagte für die Beeinträchtigungen nicht verantwortlich ist, kommt ein Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung in Betracht.
§ 1004 BGB Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
§ 906 BGB Zuführung unwägbarer Stoffe
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. (…)
(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.
(3) (…)
§ 907 Gefahr drohende Anlagen
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann verlangen, dass auf den Nachbargrundstücken nicht Anlagen hergestellt oder gehalten werden, von denen mit Sicherheit vorauszusehen ist, dass ihr Bestand oder ihre Benutzung eine unzulässige Einwirkung auf sein Grundstück zur Folge hat. Genügt eine Anlage den landesgesetzlichen Vorschriften, die einen bestimmten Abstand von der Grenze oder sonstige Schutzmaßregeln vorschreiben, so kann die Beseitigung der Anlage erst verlangt werden, wenn die unzulässige Einwirkung tatsächlich hervortritt.
(2) Bäume und Sträucher gehören nicht zu den Anlagen im Sinne dieser Vorschriften.
§ 910 Überhang
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann Wurzeln eines Baumes oder eines Strauches, die von einem Nachbargrundstück eingedrungen sind, abschneiden und behalten. Das Gleiche gilt von herüberragenden Zweigen, wenn der Eigentümer dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt.
(2) Dem Eigentümer steht dieses Recht nicht zu, wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen.
§ 16 Sonstige Gehölze
(1) Bei der Anpflanzung von Bäumen, Sträuchern und anderen Gehölzen sind unbeschadet der §§ 12 bis 15 folgende Grenzabstände einzuhalten:
(…)
4. a) mit artgemäß mittelgroßen oder schmalen Bäumen wie Birken, (…) 4 m
b) (…)
(2) Die Abstände nach Absatz 1 Nr. 2 bis 4 Buchst. a ermäßigen sich gegenüber Grundstücken in Innerortslage auf die Hälfte. (…)
Art. 124
Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn noch anderen als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Beschränkungen unterwerfen. Dies gilt insbesondere auch von den Vorschriften, nach welchen Anlagen sowie Bäume und Sträucher nur in einem bestimmten Abstand von der Grenze gehalten werden dürfen.
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 123/2019
Druckansicht weniger Information10.09.2019
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute entschieden, dass die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Sparkasse enthaltene Klausel
"4. Sonstige Kredite
4.8 Sonstige Entgelte
…
Bearbeitungsentgelt für Treuhandaufträge Ablösung Kundendarlehen 100,00 €"
bei Bankgeschäften mit Verbrauchern unwirksam ist (Urt. v. 10.09.2019, Az. XI ZR 7/19).
Bei dem Kläger handelt es sich um einen Verbraucherschutzverband. Er wendet sich gegen die oben genannte Klausel, welche die beklagte Sparkasse in ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis verwendet. Er begehrt, dass die Beklagte die weitere Verwendung dieser Klausel unterlässt.
Das LG Dortmund (Urt. v. 23.01.2018, Az. 25 O 311/17) hat die Klage abgewiesen. Das OLG Hamm (Urt. v. 04.12.2018, Az. 19 U 27/18) hat ihr stattgegeben. Mit der vom OLG Hamm zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Der XI. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass die angefochtene Klausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegt und dieser nicht standhält. Er hat deshalb die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt:
Der Klausel unterfallen u.a. solche Fallgestaltungen, in denen Kunden der Beklagten ihre bei dieser bestehende Darlehen von Fremdinstituten ablösen lassen und gestellte Sicherheiten unter Erteilung von Treuhandauflagen auf das Fremdinstitut übertragen lassen möchten. Hat der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber eine Grundschuld zur Sicherung dessen Ansprüche bestellt, so steht ihm als Sicherungsgeber aus der Sicherungsabrede ein Anspruch auf Rückgewähr des Sicherungsmittels zu, wenn der Darlehensgeber die Sicherheiten nicht mehr benötigt. Dabei kann der Darlehensnehmer frei wählen, ob er eine Löschungsbewilligung, eine löschungsfähige Quittung oder die Abtretung der Grundschuld an sich oder einen Dritten wünscht. Lässt sich der Darlehensgeber seine insoweit geschuldete Leistung vergüten, handelt es sich bei der Entgeltklausel um eine Preisnebenabrede, die der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegt.
Aus Sicht eines verständigen und redlichen Vertragspartners ist der Anwendungsbereich der Klausel aber damit nicht erschöpft. Nach ihrem Wortlaut erfasst die Klausel nicht nur den Fall, dass ein von der Beklagten gewährtes Verbraucherdarlehen abgelöst wird und sie an einem von anderer Seite veranlassten Treuhandauftrag mitwirkt, sondern auch den Fall, dass sie als neue Darlehensgeberin im Rahmen der Ablösung eines bei einem anderen Kreditinstitut bestehenden Darlehensvertrags tätig wird. Mit der hierfür nötigen Bestellung, Verwaltung und Verwertung von Sicherheiten verfolgt die Beklagte allein eigene Vermögensinteressen, so dass die Klausel als kontrollfähige Preisnebenabrede einzuordnen ist. Dies gilt auch dann, wenn für die Übertragung von Sicherheiten zu ihren Gunsten ein Treuhandauftrag erforderlich ist.
Die damit als Preisnebenabrede einzuordnende Klausel hält der Inhaltskontrolle nicht stand und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Der Darlehensgeber nimmt mit der Bestellung, Verwaltung und Verwertung von Sicherheiten eigene Vermögensinteressen wahr, weshalb sein hiermit verbundener Aufwand regelmäßig mit dem gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB zu zahlenden Zins abzugelten ist. Dies gilt auch in Bezug auf den mit der Freigabe der Sicherheit und damit bei der vertragsgemäßen Abwicklung des Darlehensvertrags verbundenen Aufwand, der bei dem Darlehensgeber bei der Erfüllung einer bestehenden eigenen Rechtspflicht anfällt.
§ 307 Inhaltskontrolle
(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. 2Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 117/2019
Druckansicht weniger Information06.08.2019
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute in zwei Urteilen entschieden, dass Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung auf reise- und beförderungsvertragliche Schadensersatzansprüche nach nationalem Recht anzurechnen sind (Urt. v. 06.08.2019, Az. X ZR 128/18 und X ZR 165/18).
Die Kläger des Verfahrens X ZR 128/18 buchten bei der beklagten Reiseveranstalterin für die Zeit vom 17. Juli bis 7. August 2016 eine Urlaubsreise, die Flüge von Frankfurt am Main nach Las Vegas und zurück sowie verschiedene Hotelaufenthalte umfasste. Den Klägern wurde die Beförderung auf dem für sie gebuchten Hinflug verweigert. Sie flogen daher am folgenden Tag über Vancouver nach Las Vegas, wo sie mehr als 30 Stunden später als geplant eintrafen, und verlangen nunmehr von der Beklagten die Erstattung der für die beiden ersten Tage der Urlaubsreise angefallenen Kosten des Mietwagens und des gebuchten, aber nicht genutzten Hotelzimmers sowie der Kosten für eine wegen der geänderten Reiseplanung erforderlich gewordene Übernachtung in einem anderen Hotel.
Der Kläger des Verfahrens X ZR 165/18 und seine beiden Mitreisenden buchten bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen für den 15. September 2016 einen Flug von Frankfurt am Main nach Windhoek, wo sie eine Rundreise durch Namibia antreten wollten. Der Abflug verzögerte sich, so dass die Fluggäste ihr Reiseziel einen Tag später als vorgesehen erreichten. Der Kläger macht geltend, er und seine Mitreisenden hätten die für die erste Nacht gebuchte Unterkunft in einer Lodge wegen der verspäteten Ankunft nicht mehr erreichen können und stattdessen in einem Hotel in Windhoek übernachten müssen. Er verlangt von dem beklagten Luftverkehrsunternehmen aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Mitreisenden Erstattung der Kosten für die nicht in Anspruch genommene, aber nach seinem Vortrag in Rechnung gestellte Unterkunft in der Lodge sowie der Kosten für die Übernachtung in Windhoek.
Wegen der Beförderungsverweigerung bzw. der Flugverspätung leisteten die ausführenden Luftverkehrsunternehmen der betreffenden Flüge Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c Fluggastrechteverordnung in Höhe von 600 € je Reisendem. In beiden Fällen streiten die Parteien darüber, ob diese Zahlungen nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung auf die in der Höhe dahinter zurückbleibenden Ersatzansprüche angerechnet werden dürfen, die die Kläger auf der Grundlage der Vorschriften des deutschen Reisevertrags- bzw. Personenbeförderungsrechts geltend machen.
Verfahrensgang: Das AG Frankfurt am Main (Urt. v. 22.09.2017, Az. 32 C 3620/16 (22) und Urt. v. 10.11.2017, Az. 32 C 1397/17 (18)) hat die Ausgleichszahlungen angerechnet und die Klagen abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Berufungen der Kläger hatten vor dem LG Frankfurt am Main (Urt. v. 24.05.2018, Az. 2–24 S 271/17 und Urt. v. 26.09.2018, Az. 2–24 S 338/17) keinen Erfolg. Der Fluggast könne bei einer Beförderungsverweigerung oder einer erheblichen Flugverspätung wählen zwischen der Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung, die zum Ausgleich entstandener Unannehmlichkeiten einen pauschalierten Ersatz für materielle und immaterielle Schäden biete, und der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach nationalem Recht, für die Schadenseintritt und –höhe konkret darzulegen seien. Beanspruche der Fluggast eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung, sei diese nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung auf wegen desselben Ereignisses geltend gemachte Schadensersatzansprüche nach nationalem Recht anzurechnen, unabhängig davon, ob diese auf den Ersatz materieller oder immaterieller Schäden gerichtet seien. .Der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat des BGH hat die Entscheidungen der Berufungsgerichte bestätigt und die Revisionen der Kläger zurückgewiesen.
Die von den Klägern geltend gemachten Ersatzansprüche dienen der Kompensation von durch Nicht- oder Schlechterfüllung der Verpflichtung zur Luftbeförderung hervorgerufenen Beeinträchtigungen, die zum einen in durch die verspätete Ankunft am Reiseziel nutzlos gewordenen Aufwendungen, zum anderen in Zusatzkosten für eine notwendig gewordene andere Hotelunterkunft bestehen. Dementsprechend handelt es sich bei den eingeklagten Ansprüchen um Ansprüche auf weitergehenden Schadensersatz, auf die nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO eine nach dieser Verordnung wegen Beförderungsverweigerung oder großer Verspätung gewährte Ausgleichszahlung angerechnet werden kann.
Ob die nach nationalem Recht begründeten Schadensersatzansprüche dementsprechend um die Ausgleichszahlung gekürzt werden können oder – weil die Ausgleichszahlung wie in den Streitfällen höher ist – vollständig entfallen, richtet sich mangels gesetzlicher Regelung im deutschen Recht nach den von der Rechtsprechung zum Schadenersatzrecht entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung. § 651p Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB, der ausdrücklich bestimmt, dass sich ein Reisender auf seine Schadensersatzansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter denjenigen Betrag anrechnen lassen muss, den er aufgrund desselben Ereignisses als Entschädigung nach Maßgabe der Fluggastrechteverordnung erhalten hat, gilt erst für ab dem 1. Juli 2018 geschlossene Reiseverträge und ist in den Streitfällen nicht anwendbar.
Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind und deren Anrechnung mit dem Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt. Die Ausgleichszahlung nach der Flugastrechteverordnung dient nicht nur dem pauschalierten Ersatz immaterieller Schäden, sondern soll es dem Fluggast ermöglichen, auch Ersatz seiner materiellen Schäden zu erlangen, ohne im Einzelnen aufwändig deren Höhe darlegen und beweisen zu müssen. Da die reiserechtlichen Ersatzansprüche im Verfahren X ZR 128/18 und die auf Verletzung des Beförderungsvertrags gestützten Ansprüche im Verfahren X ZR 165/18 dem Ausgleich derselben den Klägern durch die verspätete Luftbeförderung entstandenen Schäden wie die bereits erbrachten Ausgleichszahlungen dienen, ist eine Anrechnung geboten.
Der BGH hat in einem früheren Verfahren für klärungsbedürftig gehalten, ob eine solche Anrechnung dem Zweck der Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung entspricht und deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union eine entsprechende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschl. v. 30.07.2013, Az. X ZR 111/12); das Verfahren hat sich jedoch anderweitig erledigt.
Eine erneute Vorlage hat der BGH als nicht erforderlich angesehen, da durch Erwägungsgrund 36 und Art. 14 Abs. 5 der am 31. Dezember 2015 in Kraft getretenen neuen Pauschalreiserichtlinie (Richtlinie (EU) 2015/2302) geklärt worden ist, dass jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Richtlinie Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung auf vertragliche Ersatzansprüche gegen den Reiseveranstalter anzurechnen sind und umgekehrt (was für das geltende deutsche Pauschalreiserecht durch die erwähnte Vorschrift des § 651p Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB umgesetzt worden ist). Damit entfällt jedoch auch für Ansprüche aus dem Beförderungsvertrag und für Ansprüche nach dem bis zum 30. Juni 2018 geltenden Reiserecht, wie sie in den Streitfällen in Rede stehen, ein aus dem Sinn und Zweck der Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung abzuleitendes Hindernis für eine Anrechnung, wie es der BGH vor Inkrafttreten der Pauschalreiserichtlinie für denkbar gehalten hat.
Auszug aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (Fluggastrechteverordnung)
Art. 7 Ausgleichsanspruch
(1) 1Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
…
c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.
…
Art. 12 Weiter gehender Schadensersatz
(1) 1Diese Verordnung gilt unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes. 2Die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden.
…
Auszug aus der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (Pauschalreiserichtlinie)
Erwägungsgründe
…
(36) Die Rechte der Reisenden auf Geltendmachung von Ansprüchen auf der Grundlage dieser Richtlinie und anderer einschlägiger Unionsvorschriften oder internationaler Übereinkünfte sollten von dieser Richtlinie unberührt bleiben, sodass die Reisenden weiterhin die Möglichkeit haben, Ansprüche gegen den Veranstalter, das Beförderungsunternehmen oder gegen eine oder gegebenenfalls mehr als eine andere haftende Partei geltend zu machen. Es sollte klargestellt werden, dass die nach dieser Richtlinie gewährte Schadenersatzzahlung oder Preisminderung von der nach Maßgabe anderer einschlägiger Unionsvorschriften oder internationaler Übereinkünfte gewährten Schadenersatzzahlung oder Preisminderung abgezogen werden sollte und umgekehrt, um eine Überkompensation zu vermeiden. Die Haftung des Reiseveranstalters sollte Regressansprüche gegen Dritte einschließlich Leistungserbringer unberührt lassen.
…
Art. 14 Preisminderung und Schadenersatz
…
(5) Das Recht auf Schadenersatz oder Preisminderung nach Maßgabe dieser Richtlinie lässt die Rechte von Reisenden nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007, der Verordnung (EG) Nr. 392/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (20), der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 und der Verordnung (EU) Nr. 181/2011 und nach Maßgabe internationaler Übereinkünfte unberührt. Die Reisenden sind berechtigt, Forderungen nach dieser Richtlinie und den genannten Verordnungen und nach internationalen Übereinkünften geltend zu machen. Die nach dieser Richtlinie gewährte Schadenersatzzahlung oder Preisminderung wird von der nach Maßgabe der genannten Verordnungen und nach internationalen Übereinkünften gewährten Schadenersatzzahlung oder Preisminderung abgezogen und umgekehrt, um eine Überkompensation zu verhindern.
…
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 651p Zulässige Haftungsbeschränkung; Anrechnung
…
(3) 1Hat der Reisende gegen den Reiseveranstalter Anspruch auf Schadensersatz oder auf Erstattung eines infolge einer Minderung zu viel gezahlten Betrages, so muss sich der Reisende den Betrag anrechnen lassen, den er aufgrund desselben Ereignisses als Entschädigung oder als Erstattung infolge einer Minderung nach Maßgabe internationaler Übereinkünfte oder von auf solchen beruhenden gesetzlichen Vorschriften erhalten hat oder nach Maßgabe
1. der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46 vom 17.2.2004, S. 1),
…
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 105/2019
Druckansicht weniger Information03.07.2019
Der Bundesgerichtshof(BGH) hat heute entschieden, dass einem Verbraucher beim Online-Kauf einer Matratze, die mit einer Schutzfolie versiegelt geliefert wurde, ein Widerrufsrecht auch dann zusteht, wenn er die Schutzfolie entfernt hat (Urt. v. 03.07.2019, Az. VIII ZR 194/16).
Die Beklagte ist eine Online-Händlerin, die unter anderem Matratzen vertreibt. Der Kläger bestellte zu privaten Zwecken über die Website der Beklagten eine Matratze zu einem Kaufpreis von 1.094,52 €, die ihm mit einer versiegelten Schutzfolie geliefert wurde.
In der Rechnung der Beklagten vom 26. November 2014 wurde auf dort abgedruckte Allgemeine Geschäftsbedingungen hingewiesen, in denen auch eine "Widerrufsbelehrung für Verbraucher" enthalten ist. Dort ist unter anderem ausgeführt, dass das Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, vorzeitig erlischt, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.
Nach Erhalt der Matratze entfernte der Kläger die Schutzfolie.
Der Kläger bat die Beklagte mit E-Mail vom 9. Dezember 2014 um die Vereinbarung eines Termins zum Rücktransport, da er die Matratze zurücksenden wolle. Da die Beklagte den erbetenen Rücktransport nicht veranlasste, gab der Kläger den Transport selbst zu Kosten von 95,59 € in Auftrag.
Der Kläger begehrt die Erstattung des Kaufpreises und der Transportkosten, insgesamt 1.190,11 €, nebst Zinsen sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Die Klage hatte vor dem Amtsgericht Mainz (Urt. v. 26.11.2015, Az. 86 C 234/15) erfolgt. Das Landgericht Mainz (Urt. v. 10.08.2016, Az. 3 S 191/15) wies die Berufung der Beklagten zurück. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass es sich bei einer Matratze nicht um einen Hygieneartikel im Sinne des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB handele, so dass der Widerruf auch nach dem Entfernen der Schutzfolie durch den Kläger nicht ausgeschlossen gewesen sei. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) unter anderem die Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt, ob Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechterichtlinie dahin auszulegen ist, dass zu den dort genannten Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind, auch Waren (wie etwa Matratzen) gehören, die zwar bei bestimmungsgemäßem Gebrauch direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen, aber durch geeignete (Reinigungs-)Maßnahmen des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können (Senatsbeschl. v. 15.11.2017, Az. VIII ZR 194/16, NJW 2018, 453). Zugleich hat der Senat das Verfahren gemäß § 148 ZPO analog bis zur Entscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt.
Der VIII. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass es sich bei einem Kaufvertrag, den ein Verbraucher mit einem Online-Händler über eine Matratze schließt, die ihm mit einer Schutzfolie versiegelt geliefert wird, nicht um einen Vertrag zur Lieferung versiegelter Waren handelt, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene zur Rückgabe ungeeignet sind, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB). Dem Verbraucher steht daher auch dann das Recht zu, seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung gemäß § 312g Abs. 1 BGB zu widerrufen, wenn er die Schutzfolie entfernt hat.
Diese Rechtsprechung folgt im Ergebnis und in der Begründung den Maßstäben, die der Gerichtshof auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 15. November 2017 hin im Urteil vom 27. März 2019 (C-681/17) vorgegeben hat. Denn die deutsche Ausnahmevorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB geht auf die gleichlautende europarechtliche Vorschrift des Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechterichtlinie zurück, die der deutsche Gesetzgeber vollständig in deutsches Recht umsetzen wollte.
Eine Ausnahme von dem bei Fernabsatzverträgen Verbrauchern grundsätzlich eingeräumten Widerrufsrecht ist vor allem mit Blick auf dessen Sinn und Zweck zu verneinen. Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher in der besonderen Situation im Fernabsatzhandel schützen, in der er keine Möglichkeit hat, das Erzeugnis vor Abschluss des Vertrages zu sehen und seine Eigenschaften zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Nachteil soll mit dem Widerrufsrecht ausgeglichen werden, das dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit einräumt, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren.
Im Hinblick hierauf greift die Ausnahmeregelung nur dann ein, wenn nach der Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist, weil der Unternehmer Maßnahmen, die sie unter Wahrung des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene wieder verkehrsfähig machten, nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ergreifen könnte.
Bei Anlegung dieses Maßstabs fällt eine Matratze, deren Schutzfolie der Verbraucher entfernt hat, nicht unter den Ausnahmetatbestand. Eine Matratze kann im Hinblick auf das Widerrufsrecht mit einem Kleidungsstück gleichgesetzt werden, das ebenfalls mit dem menschlichen Körper direkt in Kontakt kommen kann. Es ist davon auszugehen, dass Unternehmer bezüglich beider Waren in der Lage sind, diese nach Rücksendung mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wiederverwendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet zu machen.
Da das Berufungsgericht die Ankündigung der Rücksendung der Matratze und die Bitte um Übernahme der Transportkosten rechtsfehlerfrei als Widerrufserklärung ausgelegt hat, waren die Parteien gemäß § 355 Abs. 1 BGB nicht mehr an ihre auf den Abschluss des Vertrages gerichteten Willenserklärungen gebunden mit der Folge, dass die beklagte Online-Händlerin den Kaufpreis und die verauslagten Transportkosten an den Kläger zu erstatten hat. Die Revision der Beklagten hatte daher keinen Erfolg.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 312g Widerrufsrecht
(1) Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht nach § 355 zu.
(2)Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei Verträgen:
…
3. Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,
…
§ 355 Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen
(1) 1Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. 2Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. 3Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf eindeutig hervorgehen. …
…
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 89/2019
Druckansicht weniger Information26.06.2019
Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass die Mahnkostenpauschale eines Energieversorgungsunternehmens (Süwag Vertrieb AG und Co. KG) von 2,50 € unzulässig überhöht ist. Nach der Kostenberechnung der Süwag für das Jahr 2014 wäre nur eine Mahnkostenpauschale von rund 0,76 € gerechtfertigt gewesen (Urt. v. 26.06.2019, Az. VIII ZR 95/18).
Bei der beklagten Süwag Vertrieb AG und Co. KG handelt es sich um ein Energieversorgungsunternehmen, welches auch Verbraucher mit Strom und Gas beliefert. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten enthielten u.a. folgende Regelungen:
1.2 Bei Zahlungsverzug, Unterbrechung der Versorgung und Wiederherstellung der Versorgung werden folgende Pauschalen in Rechnung gestellt: | |
Euro | |
(1) Mahnung | 2,50 |
(2) Vorort-Inkasso | 77,13 |
(3) Unterbrechung der Versorgung | 77,13 |
1.5. … Der Nachweis geringerer Kosten wird dem Kunden gestattet. |
Mit der Unterbrechung der Versorgung beauftragt die Beklagte die Verteilernetzbetreiberin Syna GmbH, eine Schwestergesellschaft. Hierfür wird der Beklagten nach ihrem Vortrag der in vorgenannter Bestimmung ausgewiesene Betrag in Höhe von 77,13 € in Rechnung gestellt. Sofern der Kunde bei dieser Gelegenheit zahlt und es daher nicht zur Versorgungsunterbrechung kommt, wird ihm derselbe Betrag als "Vorort-Inkasso" berechnet.
Die Höhe der Mahnkostenpauschale begründet die Beklagte mit ihr im Jahr 2014 entstandenen Kosten von (gerundet) 2,91 € pro Mahnung, die sich wie folgt zusammensetzten:
1. | Druck, Kuvertierung, Frankierung und Versendung der Mahnung: | 0,7643 €; | |
2. | Folgekosten: | 1,42 € | |
a) | Steuerung des Mahnlaufs in Form der Kontrolle der Mahndaten, der Freigabe des Mahnlaufs sowie der Daten übermittlung an die mit dem Druck, Kuvertierung etc. der Mahnschreiben beauftragte Dienstleisterin T-Systems: | 0,07 €; | |
b) | telefonische Erinnerung der Haushaltskunden an die ausstehende Zahlung: | 0,34 €; | |
c) | IT-Kosten: | 0,09 €; | |
d) | anteilige Raummiete: | 0,12 €; | |
e) | Telefoniekosten im Rahmen von Kundenrückfragen nach Erhalt der Mahnung: | 0,79 €; | |
3. | pauschalierter Verzugszins: | 0,7194 €. |
Der klagende Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. wendet sich gegen die Zulässigkeit der pauschalen Berechnung der Mahnkosten, der Kosten für das "Vorort-Inkasso" und der Versorgungsunterbrechung und nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Verwendung der entsprechenden oder inhaltsgleicher Bestimmungen gegenüber Verbrauchern in Anspruch.
Das Landgericht Frankfurt a.M. (Urt. v. 14.03.2017, Az. 2-03 O 98/16) hat der Klage – soweit sie Gegenstand des Revisionsverfahren geworden ist – stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten war vor dem OLG Frankfurt a.M. (Urt. v. 08.03.2018, Az. 1 U 89/17) erfolglos. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Der VIII. Zivilsenat des BGH hat die Revision der Beklagten insgesamt zurückgewiesen. Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerfrei einen Anspruch des Klägers auf Unterlassung der Verwendung der streitgegenständlichen Klauseln im Verhältnis zu Verbrauchern bejaht. Der Anspruch ergibt sich aus § 1 UKlaG i.V.m. § 309 Nr. 5 Buchst. a, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
1.
Die Klausel, nach welcher die Beklagte im Falle des Zahlungsverzugs Mahnkosten in Höhe von pauschal
2,50 € pro Mahnung in Rechnung stellt, ist gem. § 309 Nr. 5 Buchst. a BGB unwirksam, weil der Betrag die erstattungsfähigen gewöhnlichen Mahnkosten übersteigt. In dem Betrag von 2,50 € sind Schadensbeträge enthalten, die bereits dem Grunde nach nicht erstattungsfähig sind. Darüber hinaus ist die Klauseln gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB intransparent.
a) Dies gilt zunächst für die in den Folgekosten enthaltenen Personalkosten. Den für die Schadensermittlung und außergerichtliche Abwicklung seines Schadensersatzanspruchs anfallenden Arbeits- und Zeitaufwand muss der Geschädigte, auch wenn er hierfür besonderes Personal einsetzt oder die Tätigkeiten – wie vorliegend – extern erledigen lässt, selbst tragen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der im Einzelfall erforderliche Aufwand die im Rahmen des Üblichen typischerweise zu erbringende Mühewaltung überschreitet. Diese Grundsätze gelten nicht nur bei geschädigten Privatpersonen, sondern in gleicher Weise auch gegenüber Wirtschaftsunternehmen.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die von der Beklagten in der angegriffenen Klausel vorgenommene Pauschalierung der Mahnkosten insgesamt unwirksam. Die eingeschlossenen Folgekosten enthalten einen nicht ersatzfähigen Arbeits- und Zeitaufwand für die Abwicklung des (Verzugs-)Schadensersatzanspruchs. Eine Erstattungsfähigkeit dieser Kosten ergibt sich vorliegend auch nicht ausnahmsweise aus dem zur Durchführung des Mahnverfahrens betriebenen Aufwand oder den Aufgaben der Beklagten im Bereich der Daseinsvorsorge. Der aufgrund des Kontrahierungszwang im Bereich der Daseinsvorsorge möglicherwesie erhöhte Zahlungsausfall führt lediglich zu einer höheren Zahl an Mahnungen, macht jedoch das einzelne Mahnverfahren nicht aufwändiger. Allein die Häufung von Schadensfällen begründet keinen erhöhten und damit ersatzfähigen Aufwand. Die in der angegriffenen Mahnkostenpauschale enthaltenen Folgekosten sind auch nicht im Hinblick auf die Verbesserung der Zahlungsmoral der Kunden und damit aus gleichsam generalpräventiven Aspekten heraus ersatzfähig. Der Präventionsgedanke hat im Schadensersatzrecht nur dort eine eigenständige Bedeutung, wo dies in der Haftungsnorm angelegt oder vom Zweck der Ersatzpflicht umfasst ist. Dies ist beim Verzugsschadensersatzanspruch im Allgemeien nicht der Fall. Die Prävention ist insoweit lediglich eine nützliche Folge der Kompensation und vermag deshalb den eigentlichen Inhalt einer Schadensersatzverbindlichkeit nicht zu beeinflussen.
b) Die Mahnkostenpauschale ist auch wegen des in ihr enthaltenen Betrages von 0,7194 € Verzugszinsen unwirksam. Bei den Verzugszinsen auf die säumigen Hauptforderungen, aus denen die Beklagte den genannten Betrag errechnet hat, handelt es sich um eine andere, schon im Grundsatz nicht als Mahnkosten ersatzfähige Schadensposition. Der als Mahnpauschale verlangte Gesamtbetrag entspricht auch aus diesem Grund nicht dem Schaden, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten gewesen wäre.
c) Da in der Mahnkostenpauschale somit Beträge enthalten sind, die teilweise bereits dem Grunde nach, teilweise als "Mahnkosten" nicht ersatzfähig sind, ist die Klausel insgesamt unwirksam. Einer Reduzierung der Pauschale auf eine zulässige Höhe – vorliegend die Kosten für den Druck, die Kuvertierung, Frankierung sowie Versendung der Mahnung in Höhe von 0,7643 € – steht das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion entgegen.
d) Zudem genügt die Klausel hinsichtlich der in ihr enthaltenen Verzugszinsen nicht den Transparenzanforderungen des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nach dieser Vorschrift kann sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB auch daraus ergeben, dass eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht klar und verständlich ist. Der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen sowie wirtschaftliche Nachteile und Belastungen so weit erkennen zu lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Dem wird die Mahnkostenpauschale nicht gerecht, denn die in den Mahnkosten enthaltenen Verzugszinsen sind als solche nicht hinreichend erkennbar.
2.
Auch die von der Beklagten vorgenommene Pauschalierung der Kosten
für die Unterbrechung der Versorgung und das sogenannte "Vorort-Inkasso" in
Höhe von jeweils 77,13 € verstößt gegen § 309 Nr. 5 Buchst. a BGB sowie gegen
das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Zwar hat die Beklagte als Grundversorgerin dem Grunde nach durchaus einen Anspruch auf Erstattung der für die Versorgungsunterbrechung angefallenen Kosten als (regelmäßig) adäquat kausaler Verzugsschaden (vgl. § 19 Abs. 4 StromGW/GasGW). Die Kosten für diese Maßnahmen können auch grundsätzlich pauschaliert werden.
Die Beklagte als Verwenderin der Klausel trägt jedoch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Pauschale dem nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden entspricht. Die Beklagte hat vorgetragen, dass ihr von der Syna GmbH für die Unterbrechung der Versorgung Kosten in Höhe von (nur) 73,63 € entstanden sind. Die hierauf gestützte Würdigung des Berufungsgerichts, dass eine über diesen Betrag hinausgehende Pauschale nicht dem nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden entspreche und deshalb insgesamt unwirksam sei, lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die von ihr verlangten Kosten lägen innerhalb der in den Monitoringberichten der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamtes ermittelten Kostenrahmen, da sich die Pauschale am branchentypischen Durchschnittsschaden und nicht an einer Bandbreite auszurichten hat. Zudem lagen hiernach die durchschnittlichen Kosten einer Versorgungsunterbrechung im Jahr 2015 bei 47 € und im Jahr 2016 bei 49 € und damit deutlich unter dem vorliegend verlangten Betrag.
Zudem verstößt die Klausel zum "Vorort-Inkasso" gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Aus dem Wortlaut ist nicht erkennbar, welche Tätigkeiten unter das "Vorort-Inkasso" fallen; insbesondere ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass es sich nicht um isoliert anfallende Inkassokosten für eine weitere, vor Ort ausgesprochene, Zahlungsaufforderung handelt, sondern um solche, die erhoben werden, wenn die Unterbrechung der Versorgung, zu deren Durchführung der Kunde aufgesucht wird, deshalb unterbleibt, weil auf die offene Forderung bei dieser Gelegenheit eine Zahlung geleistet wird.
Mit diesem Urteil bekräftigt der BGH erneut seine ständige Rechtsprechung, wonach als Mahnkosten im Wesentlichen nur der Ersatz der Material- und Portokosten für ein Mahnschreiben, nicht aber der Arbeitsaufwnad für dessen Erstellung ersatzfähig ist. Der BGH stellt klar, dass aufgrund der mitgeteilten Kosten der Süwag im Jahre 2014 nur eine Mahnkostenschauschale von 0,76 € gerechtfertigt gewesen wäre. Die Portokosten für einen Standard-Brief betrugen damals 0,60 €. Unter Berücksichtigung der aktuellen Portokosten von 0,80 € dürfte heute eine Mahnkostenschauschale von knapp 1,00 € gerechtfertigt sein. Höhere Mahnpauschalen sind regelmäßig unwirksam und müssen nicht bezahlt werden.
Auch für das "Vor-Ort-Inkasso" und die die "Unterbrechung des Anschlusses" hat die Süwag überhöhte und damit unzulässige Pauschalen erhoben. Selbst die Rechtsfertigung der Höhe der der Süwag von der Syna GmbH für die Unterbrechung des Anschlusses in Rechnung gestellen Kosten von 73,63 € erscheint fraglich, weil die von den Netzbetreibern durchschnittlich in Rechnung gestellen Kosten deutlich niedriger sind und im Jahre 2016 nur bei 48,00 € lagen.
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Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 307 Inhaltskontrolle
(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. 2Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
…
§ 309 Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit
Auch soweit eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam
…
5. | (Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen) die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz oder Ersatz einer Wertminderung, wenn |
|
a) | die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnlich eintretende Wertminderung übersteigt oder | |
b) | dem anderen Vertragsteil nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, ein Schaden oder eine Wertminderung sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale; |
Quelle: Urteilsabdruck
Druckansicht weniger Information22.05.2019
Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat heute in zwei Entscheidungen seine Rechtsprechung zu der Frage präzisiert, wann ein Mieter nach einer ordentlichen Kündigung die Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen unzumutbarer Härte verlangen kann (Urt. v. 22.05.2019, Az. VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17).
Die im Jahr 1937 geborene Beklagte zu 1 ist seit 1974 Mieterin einer ca. 73 qm großen Dreizimmerwohnung in Berlin, die sie mit ihren beiden über 50 Jahre alten Söhnen bewohnt. Der Kläger, der mit seiner Ehefrau und zwei Kleinkindern bislang zur Miete in einer 57 qm großen Zweizimmerwohnung lebt, hat die Wohnung im Jahr 2015 zwecks Eigennutzung erworben.
Der vom Kläger ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung widersprach die Beklagte zu 1, weil ihr ein Umzug aufgrund ihres Alters, ihrer Verwurzelung in der Umgebung durch die lange Mietdauer sowie einer Demenzerkrankung, die sich durch den Umzug weiter zu verschlechtern drohe, nicht zumutbar sei. Nach einem in der Berufungsinstanz vorgelegten Attest leidet die Beklagte zu 1 an einer Demenz, die seit ca. 1-2 Jahren fortschreite. Sie sei nur noch bedingt in der Lage, Neues zu erlernen und sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden, weshalb ein Umzug mit einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes einhergehen würde.
Verfahrensgang:Das Landgericht Halle (Urt. v. 05.07.2017, Az. 1 S 245/16) als Berufungsgericht hat die Räumungsklage abgewiesen. Es hat zwar die Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) des Klägers für wirksam erachtet, hat jedoch wegen eines von ihm bejahten Härtefalls (§ 574 Abs. 1 Satz 1 BGB) bestimmt, dass das Mietverhältnis der Parteien auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde (§ 574a Abs. 2 Satz 2 BGB).
Die Beklagten zu 1 und 2 sind seit 2006 Mieter einer Doppelhaushälfte der Kläger in einem Dorf in der Nähe von Halle. In dem Haus leben auch noch der volljährige Sohn der Beklagten zu 1 (Beklagter zu 3) sowie der Bruder des Beklagten zu 2 (Beklagter zu 4).
Im Jahr 2015 kündigten die Kläger das Mietverhältnis mit der Begründung, dass die geschiedene, bisher in Bayern lebende Ehefrau (Klägerin zu 1) in die Doppelhaushälfte einziehen wolle, um ihre dort in der Nähe lebende betagte Großmutter besser betreuen zu können.
Die Beklagten widersprachen der Kündigung. Der Eigenbedarf sei vorgeschoben, der wahre Grund für die Kündigung seien Streitigkeiten über Mängel der Wohnung. Darüber hinaus beriefen sie sich hinsichtlich der Beklagten zu 1 und 4 auf Härtegründe, insbesondere auf die schwere Erkrankung des Beklagten zu 4. Dieser ist in die Pflegestufe II eingruppiert und leidet an diversen Erkrankungen beziehungsweise Einschränkungen der Alltagskompetenz (Schizophrenie, Alkoholkrankheit, Inkontinenz, Demenz, Abwehrhaltung bei der Pflege). Er wird von seinem als Betreuer bestellten Bruder (Beklagter zu 2) und auch von der Beklagten zu 1 im häuslichen Bereich versorgt. Nach einem in der Berufungsinstanz vorgelegten ärztlichen Attest eines Psychiaters würde ein erzwungener Umzug unweigerlich zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beklagten zu 4 führen.
Verfahrensgang:Das Amtsgericht Charlottenburg (Urt. v. 17.07.2017, Az. 231 C 565/16) har die Eigenbedarfskündigung für begründet erachtet und der Räumungsklage der Kläger (ohne eine Beweisaufnahme über den streitigen Eigenbedarf) stattgegeben. Ein von den Beklagten beantragtes Sachverständigengutachten zur drohenden Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beklagten zu 4 wurde gleichfalls nicht eingeholt. Die Berufung der Beklagten blieb vor dem Landgericht Berlin (Urt. v. 09.05.2018, AZ. 64 S 176/17) erfolglos. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen einer unzumutbaren Härte mit der Begründung verneint, dass sich aus dem für den Beklagten zu 4 vorgelegten Attest eine drohende schwerwiegende Beeinträchtigung oder drohende Lebensgefahr nicht ergebe.
Der BGH hat in beiden Fällen das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen, insbesondere zum Bestehen von Härtegründen. Da sowohl auf Seiten des Vermieters wie auf Seiten des Mieters grundrechtlich geschützte Belange (Eigentum, Gesundheit) betroffen sind, sind eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermieters an dessen Beendigung überwiegen (§ 574 Abs. 1 BGB).
Allgemeine Fallgruppen, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, lassen sich
– entgegen einer teilweise bei den Instanzgerichten anzutreffenden Tendenz - nicht bilden. So werden sich etwa die Faktoren Alter und lange Mietdauer mit einer damit einhergehenden Verwurzelung im bisherigen Umfeld je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich stark auswirken und rechtfertigen deshalb ohne weitere Feststellungen zu den sich daraus ergebenden Folgen im Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich nicht die Annahme einer Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Werden von dem Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels indes substantiiert ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht, haben sich die Gerichte – wie der Senats bereits mit Urteil vom 15.03.2017 (VIII ZR 270/15, NJW 2017, 1474) ausgesprochen hat – beim Fehlen eigener Sachkunde regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann.
Diese Rechtsprechung hat der Senat nunmehr dahin präzisiert, dass ein Sachverständigengutachten regelmäßig von Amts wegen einzuholen sein wird, wenn der Mieter eine zu besorgende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch ärztliches Attest belegt hat. Auf diese Weise ist zu klären, an welchen Erkrankungen der betroffene Mieter konkret leidet und wie sich diese auf seine Lebensweise und Autonomie sowie auf seine psychische und physische Verfassung auswirken. Dabei ist auch von Bedeutung, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen mittels Unterstützung durch das Umfeld beziehungsweise durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen. Nur eine solche Aufklärung versetzt die Gerichte in die Lage, eine angemessene Abwägung bei der Härtefallprüfung des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmen.
In dem Verfahren VIII ZR 180/18 ist das Berufungsgericht zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Eigenbedarfskündigung des Klägers wirksam ist. Es hat jedoch dem Erlangungsinteresse des Klägers rechtsfehlerhaft deshalb ("schematisch") ein geringeres Gewicht beigemessen, weil dieser eine vermietete Wohnung erworben hat. Zudem hat es die Härtefallabwägung im Rahmen des § 574 BGB ohne die gebotene Aufklärung über zu besorgende erhebliche Verschlechterungen des Gesundheitszustandes der Beklagten zu 1 (Einholung eines Sachverständigengutachtens) und somit auf einer nicht tragfähigen tatsächlichen Grundlage vorgenommen.
In dem Verfahren VIII ZR 167/17 hat das Berufungsgericht schon die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung rechtsfehlerhaft bejaht, weil es sich – trotz Bestreitens des Eigenbedarfs durch die Beklagten - mit dem schriftsätzlichen Vortrag der Kläger begnügt hat, statt den angebotenen Zeugenbeweis über die Ernsthaftigkeit des geltend gemachten Bedarfs zu erheben und gegebenenfalls die Klägerin zu 1 persönlich anzuhören.
Zudem hat das Berufungsgericht die für den Beklagten zu 4 substantiiert dargelegten und durch Atteste belegten Härtegründe bagatellisiert und ebenfalls versäumt, ein Sachverständigengutachten zu den Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs auf den Gesundheitszustand des Beklagten zu 4 einzuholen. Letztlich hat es ohne die erforderliche konkrete Abwägung zwischen den Interessen des Mieters und des Vermieters der Vermieterseite den Vorrang eingeräumt.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 573 Ordentliche Kündigung des Vermieters
(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. […]
(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn
[…]
2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt […]
§ 574 Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung
(1) Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. 2Dies gilt nicht, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt.
(2) Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.
[…]
§ 574a BGB Fortsetzung des Mietverhältnisses nach Widerspruch
(1) Im Falle des § 574 kann der Mieter verlangen, dass das Mietverhältnis so lange fortgesetzt wird, wie dies unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen ist. Ist dem Vermieter nicht zuzumuten, das Mietverhältnis zu den bisherigen Vertragsbedingungen fortzusetzen, so kann der Mieter nur verlangen, dass es unter einer angemessenen Änderung der Bedingungen fortgesetzt wird.
(2) Kommt keine Einigung zustande, so werden die Fortsetzung des Mietverhältnisses, deren Dauer sowie die Bedingungen, zu denen es fortgesetzt wird, durch Urteil bestimmt. Ist ungewiss, wann voraussichtlich die Umstände wegfallen, auf Grund derer die Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeutet, so kann bestimmt werden, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird.
[…]
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 68/2019
Druckansicht weniger Information14.05.2019
Der BGH hat heute entschieden, dass ein Kreditinstitut einen Prämiensparvertrag nach Erreichen der höchsten Prämienstufe kündigen kann (Urt. v. 14.05.2019, Az. XI ZR 345/18).
Die Kläger begehren in der Hauptsache die Feststellung des Fortbestandes dreier Sparverträge.
Im Jahr 1996 warb die beklagte Sparkasse für das "S-Prämiensparen flexibel" mit einer Werbebroschüre, in der unter anderem eine Musterrechnung enthalten ist, mit der die Entwicklung eines Sparguthabens über einen Zeitraum von 25 Jahren bei einer monatlichen Sparrate von 150 DM einschließlich der jährlichen Prämienzahlungen dargestellt wird.
In den Jahren 1996 und 2004 schlossen die Kläger mit der Beklagten insgesamt drei Sparverträge "S-Prämiensparen flexibel". Neben einer variablen Verzinsung des Sparguthabens sahen die Verträge erstmals nach Ablauf des dritten Sparjahres die Zahlung einer Prämie in Höhe von 3% der im abgelaufenen Sparjahr erbrachten Sparbeiträge vor. Vertragsgemäß stieg diese Prämie bis zum Ablauf des 15. Jahres auf 50% der geleisteten Sparbeiträge an.
Für alle Sparverträge galten die AGB-Sparkassen der Beklagten (Stand: 21. März 2016). Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen enthielt folgende Regelung:
(1) Ordentliche Kündigung
Soweit weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart sind, können der Kunde und bei Vorliegen eines sachgerechten Grundes auch die Sparkasse die gesamte Geschäftsbeziehung oder einzelne Geschäftszweige jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Kündigt die Sparkasse, so wird sie den berechtigten Belangen des Kunden angemessen Rechnung tragen, insbesondere nicht zur Unzeit kündigen. …
Unter Hinweis auf das niedrige Zinsumfeld erklärte die Beklagte am 5. Dezember 2016 die Kündigung des Sparvertrages aus dem Jahr 1996 mit Wirkung zum 1. April 2017 sowie die Kündigung der Sparverträge aus dem Jahr 2004 mit Wirkung zum 13. November 2019. Die Kläger sind der Ansicht, dass die von der Beklagten erklärten Kündigungen unwirksam seien.
Das Landgericht Stendal (Urt. v. 29.01.2018, Az. 21 O 39/17) hat die unter anderem auf die Feststellung des Fortbestandes der Sparverträge gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist vor dem Oberlandesgericht Naumburg (Urt. v. 16.05.2018, Az. 5 U 29/18) ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom OLG – mit Ausnahme eines Hilfsantrags – zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des BGH hat die Revision der Kläger zurückgewiesen. Die beklagte Sparkasse durfte die Sparverträge nach Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen nach Erreichen der höchsten Prämienstufe, d.h. hier jeweils nach Ablauf des 15. Sparjahres, kündigen.
Die Beklagte hat das ordentliche Kündigungsrecht aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen für einen Zeitraum bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe - hier: 15 Jahre - ausgeschlossen. Die Sparverträge sind auf der Grundlage der vereinbarten Prämienstaffel und der weiteren vertraglichen Bestimmungen dahin zu verstehen, dass dem Sparer das Recht zukommt, einseitig zu bestimmen, ob er bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe spart. Die Beklagte hat mit der vereinbarten Prämienstaffel einen besonderen Bonusanreiz gesetzt. Dieser Bonusanreiz bedingt einen konkludenten Ausschluss des Kündigungsrechts aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen bis zum Ablauf des - hier - 15. Sparjahres, weil andernfalls die Beklagte den Klägern jederzeit den Anspruch auf Gewährung der Sparprämien entziehen könnte. Einen konkludenten und zeitlich befristeten Ausschluss des Kündigungsrechts aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen, die im Übrigen keinen Wirksamkeitsbedenken begegnet, haben die Parteien wirksam vereinbaren können, weil die Sparverträge dem Recht der unregelmäßigen Verwahrung unterliegen.
Einen über das Ende des 15. Sparjahres hinauswirkenden Ausschluss des Kündigungsrechts haben die Parteien dagegen auch im Hinblick auf die unbefristete Laufzeit des Vertrages nicht vereinbart. Nach dem Inhalt der Vertragsantragsformulare hat die Beklagte die Zahlung einer Sparprämie lediglich bis zum 15. Sparjahr versprochen. Ab diesem Zeitpunkt waren die Sparverträge zwar nicht automatisch - mit der Folge der Fälligkeit und Rückzahlung der Spareinlagen - beendet, sondern liefen weiter. Nach dem Vertragsinhalt stand der Beklagten aber ab diesem Zeitpunkt ein Recht zur ordentlichen Kündigung nach Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen unter Beachtung der in Nr. 4 Satz 1 der Bedingungen für den Sparverkehr geregelten Auslauffrist von drei Monaten zu.
Schließlich ergibt sich etwas anderes auch nicht aus dem von der Beklagten verwendeten Werbeflyer. Die in dem Werbeprospekt enthaltene Musterrechnung, die auf einen Zeitraum von 25 Jahren bezogen ist, stellt lediglich ein Rechenbeispiel dar, mit dem keine verbindliche Aussage zur tatsächlichen Laufzeit des Vertrages verbunden ist. Diese ergibt sich vielmehr aus den Vertragsantragsformularen, in denen die Beklagte ein Erreichen der höchsten Prämienstufe mit dem 15. Sparjahr zugesagt hat. Bei den weitergehenden Aussagen handelt es sich nach Darstellungsart, Inhalt und Formulierung lediglich um eine werbende Anpreisung der Leistung, der ein durchschnittlicher Sparer eine Änderung oder gar - hier in Bezug auf die Laufzeit - Erweiterung der wechselseitigen Ansprüche und der aus dem Sparvertrag folgenden Rechte, Pflichten und Obliegenheiten nicht entnehmen kann.
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 66/2019
Druckansicht weniger Information25.04.2019
Der Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass die Aktivierung eines zweiten WLAN-Signals auf dem von einem Telekommunikationsdienstleister seinen Kunden zur Verfügung gestellten WLAN-Router, das von Dritten genutzt werden kann, wettbewerbsrechtlich zulässig ist, wenn den Kunden ein Widerspruchsrecht zusteht, die Aktivierung des zweiten WLAN-Signals ihren Internetzugang nicht beeinträchtigt und auch sonst keine Nachteile, insbesondere keine Sicherheits- und Haftungsrisiken oder Mehrkosten mit sich bringt (Urt. v. 25.04.2019, Az. I ZR 23/18).
Die Beklagte bietet Telekommunikationsdienstleistungen an. Sie stellt den Kunden ihrer Internetanschlussleistungen auf Wunsch kostenfrei einen WLAN-Router zur Verfügung, der gegen unberechtigten Zugang Dritter durch eine mit einem Passwort geschützte Verschlüsselung gesichert ist. Der Router verbleibt im Eigentum der Beklagten. Anfang 2016 teilte die Beklagte ihren Kunden mit, sie werde zur Erstellung eines flächendeckenden WLAN-Netzes die Konfiguration der WLAN-Router dahin ändern, dass ein separates WLAN-Signal aktiviert werde, das Dritten einen Zugang zum Internet eröffne. Die Klägerin, eine qualifizierte Einrichtung nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, sieht in dieser unaufgeforderten Einrichtung eines Wifi-Spots bei Verbrauchern eine unzumutbare Belästigung und eine aggressive Geschäftspraktik.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Unterlassung der Aktivierung des separaten WLAN-Signals, wenn dies mit den Verbrauchern nicht vertraglich vereinbart worden ist und diese kein Einverständnis erklärt haben.
Das Landgericht Köln (Urt. v. 09.05.2017, Az. 31 O 227/16) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG Köln (Urt. v. 02.02.2018, Az. 6 U 85/17) Erfolg und führte zur Abweisung der Klage. Das OLG hat angenommen, die Aktivierung eines zusätzlichen Signals beeinträchtige die geschuldete Vertragsleistung nicht. Eine mögliche Belästigung durch die einseitige Aufschaltung des zweiten WLAN-Signals sei jedenfalls nicht unzumutbar, weil die Kunden dem jederzeit - auch nachträglich - widersprechen könnten. Eine aggressive Geschäftspraktik liege nicht vor.
Der unter anderem für Ansprüche aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zuständige I. Zivilsenat des BGH hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Die Aktivierung des zweiten WLAN-Signals stellt keine Belästigung im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG dar. Die geschuldete Vertragsleistung - Zugang zum Internet - wird durch das zweite WLAN-Signal nicht beeinträchtigt. Ein ausschließliches Nutzungsrecht der im Eigentum der Beklagten stehenden Router durch die Kunden, das einer Nutzung der Router auch durch die Beklagte entgegenstehen könnte, sehen die Verträge über Internetzugangsleistungen nicht vor. Der ungestörte Gebrauch des Routers durch die Kunden wird weder durch die Aktivierung des zweiten WLAN-Signals noch durch dessen Betrieb beeinträchtigt.
In der Aktivierung des zweiten WLAN-Signals liegt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine aufgedrängte Dienstleistung. Die Beklagte eröffnet ihren Kunden mit der Aktivierung eines zweiten WLAN-Signals auf deren Routern zwar die Möglichkeit, die Leistungen der Beklagten auch über die Wifi-Spots anderer Kunden zu nutzen. Die Klägerin möchte der Beklagten aber nicht das Angebot dieser zusätzlichen Leistung, sondern allein die Aktivierung des zweiten WLAN-Signals verbieten lassen. In der Aktivierung dieses Signals liegt für sich genommen keine Dienstleistung der Beklagten gegenüber dem Besitzer des Routers.
Auch sonst gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Aktivierung des zweiten WLAN-Signals eine Belästigung im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG darstellt. Die Aktivierung ist ein ausschließlich technischer Vorgang, der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keinerlei Nachteile für die Kunden mit sich bringt. Sie erfordert weder einen mit Störungen verbundenen Besuch bei den Kunden noch deren Mitwirkung. Der Internetzugang der Kunden wird durch die Aktivierung des zweiten WLAN-Signals nicht beeinträchtigt. Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Sicherheit der Kunden oder durch die erweiterte Nutzung des Routers verursachte Mehrkosten zu Lasten der Kunden hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Für die Kunden besteht auch nicht das Risiko, für von Dritten über das zweite WLAN-Signal begangene Rechtsverletzungen zu haften.
Gegen eine Belästigung im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG spricht schließlich das zeitlich uneingeschränkte Widerspruchsrecht der Kunden. Sie können die Nutzung der ihnen zur Verfügung gestellten Router durch Dritte über ein von der Beklagten betriebenes zusätzliches WLAN-Signal jederzeit durch einen Widerspruch kurzfristig - spätestens zum übernächsten Werktag - beenden.
Selbst wenn in der Aktivierung des zweiten WLAN-Signals eine Belästigung läge, fehlte es an der Unzumutbarkeit der Belästigung. Rechtlich geschützte Interessen der Kunden werden im Zuge der Aktivierung des zweiten WLAN-Signals nicht verletzt. Gegen die Unzumutbarkeit einer Belästigung spricht ferner das jederzeitige Widerspruchsrecht der Kunden. Die Freischaltung des zweiten WLAN-Signals ist auch nicht mit der in § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG geregelten und nur bei Vorliegen einer vorherigen ausdrücklichen Einwilligung des Adressaten zulässigen E-Mail-Werbung vergleichbar, weil sie nicht zu ähnlichen Beeinträchtigungen führt.
Eine aggressive Geschäftspraktik im Sinne von § 4a Abs. 1 UWG liegt schon deshalb nicht vor, weil den Kunden ein uneingeschränktes Widerspruchsrecht zusteht und ihre Entscheidungsfreiheit daher nicht beeinträchtigt wird.
Auszug aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
§ 4a Aggressive geschäftliche Handlungen
(1) 1Unlauter handelt, wer eine aggressive geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die dieser andernfalls nicht getroffen hätte. 2Eine geschäftliche Handlung ist aggressiv, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers erheblich zu beeinträchtigen durch
1. Belästigung,
2. Nötigung einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt oder
3. unzulässige Beeinflussung.
3Eine unzulässige Beeinflussung liegt vor, wenn der Unternehmer eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zur Ausübung von Druck, auch ohne Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt.
(2) …
§ 7 Unzumutbare Belästigungen
(1) 1Eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, ist unzulässig. 2Dies gilt insbesondere für Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese Werbung nicht wünscht.
(2) Eine unzumutbare Belästigung ist stets anzunehmen
1. …
2. …
3. bei Werbung unter Verwendung einer automatischen Anrufmaschine, eines Faxgerätes oder elektronischer Post, ohne dass eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt, oder
4. …
§ 8 Beseitigung und Unterlassung
(1) 1Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. 2Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht.
(2) …
(3) Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu:
1. …
2. …
3. qualifizierten Einrichtungen, die nachweisen, dass sie in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes oder in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1.5.2009, S. 30) eingetragen sind;
4. …
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 55/2019
Druckansicht weniger Information10.04.2019
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat heute entschieden, dass Energieversorger bei Bestelldialogen im Internet gegenüber Verbrauchern verschiedene Zahlungsmöglichkeiten anbieten müssen.
Der Kläger ist ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverein. Die Beklagte ist ein Energieversorgungsunternehmen in Dortmund und bietet Verbrauchern außerhalb der Grundversorgung Stromlieferungsverträge an, unter anderem über Preisvergleichsportale im Internet. Den – auch für Verbraucher abrufbaren – Bestellvorgang für den Tarif "U." hat die Beklagte so gestaltet, dass ein (potentieller) Kunde ausschließlich die Zahlung per Bankeinzug wählen kann; ohne Eintragung der Kontodaten in die dafür vorgesehenen Felder kann der Bestellvorgang nicht fortgeführt werden.
Der Kläger hat die Beklagte darauf in Anspruch genommen, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern die "Bestellung" eines Stromlieferungsvertrages von der Bedingung abhängig zu machen, dass die Verbraucher ihre Kontodaten eingeben und einer Zahlung per Bankeinzug zustimmen.
Das Landgericht Dortmund (Urt. v. 28.03.2017, Az. 25 O 292/16) hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat vor dem OLG Hamm (Urt. v. 25.01.2018, Az. 2 U 89/17) nur insoweit Erfolg gehabt, als das Berufungsgericht die Verurteilung zur Unterlassung – unter Abweisung der weitergehenden Klage – in einer in Bezug auf den konkret angegriffenen Buchungsdialog enger gefassten Form aufrechterhalten hat.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.
Der BGH hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat richtig entschieden, dass dem Kläger gegen die Beklagte im zuerkannten Umfang ein Anspruch auf Unterlassung des beanstandeten Internetangebots zusteht. Das genannte Internetangebot der Beklagten verstößt gegen § 41 Abs. 2 Satz 1 EnWG.*
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG** kann derjenige, der in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen solchen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze), auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Bei dem hier von der Beklagten im Internet angebotenen Bestellvorgang, der der Vorbereitung eines Stromlieferungsvertrages dient, liegt eine solche geschäftliche Handlung vor. Sie verstößt gegen die – als Verbraucherschutzgesetz einzuordnende – Regelung des § 41 Abs. 2 EnWG.*
Für Verträge über die Belieferung von Haushaltskunden mit Energie außerhalb der Grundversorgung bestimmt § 41 Abs. 2 Satz 1 EnWG*, dass dem Haushaltskunden vor Vertragsschluss "verschiedene" Zahlungsmöglichkeiten anzubieten sind. Für den Bereich der Versorgung mit Gas im Rahmen von Sonderkundenverträgen hat der Senat bereits entschieden, dass damit Zahlungsmittel und Zahlungswege gemeint sind und dass es jedenfalls ausreicht, den Verbrauchern drei verschiedene Zahlungswege zur Verfügung zu stellen (vgl. Senatsurt. v. 05.06.2013, Az. VIII ZR 131/12, Rn. 12 ff., 19). Ferner hat der Senat aus der Zielsetzung der Gasrichtlinie das Erfordernis abgeleitet, dass die Kunden durch die vorgesehenen Zahlungsmöglichkeiten nicht unangemessen benachteiligt werden dürfen, etwa durch "diskriminierend" ausgestaltete Zahlungsmodalitäten, vor allem, wenn diese besonders schutzbedürftige Verbrauchergruppen benachteiligen (Senatsurt., a.a.O., Rn. 13, 25 ff.). Für den Bereich der Versorgung mit Strom im Rahmen von Sonderkundenverträgen mit Verbrauchern gelten die genannten Grundsätze in gleicher Weise, denn § 41 Abs. 2 Satz 1 EnWG* findet auf sämtliche Energielieferungsverträge mit Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung Anwendung.
Diesen Anforderungen wird der von der Beklagten angebotene Bestellvorgang im Internet nicht gerecht. Denn den Kunden wird vor Vertragsschluss faktisch nur eine einzige Zahlungsmöglichkeit, nämlich das Bankeinzugsverfahren (Lastschrifteinzug) angeboten, das in dem standardisierten Online-Angebotsmuster der Beklagten allein vorgesehen ist und dessen sich der Verbraucher auch bedienen muss, um überhaupt eine Bestellung aufgeben zu können.
Zudem hat das von der Beklagten verwendete Angebotsmuster eine diskriminierende Wirkung, weil es bestimmte Verbrauchergruppen von der Wahrnehmung ihres Online-Angebots völlig ausschließt. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, hat das Angebot der Beklagten eine faktische Filterfunktion. Denn sämtliche Kunden, die mit der einzig angebotenen Zahlungsweise nicht einverstanden sind oder die nicht über ein Bankkonto verfügen, werden von der Bestellung abgehalten. Diese Kunden können den Bestellvorgang mangels Eingabe der Kontodaten nicht beenden. Auf diese Weise werden vor allem die besonders schutzbedürftigen Verbraucher, die nicht über ein Bankkonto verfügen oder die am Lastschriftverfahren nicht teilnehmen wollen, weil sie eine ausreichende Kontodeckung zum jeweiligen Abbuchungstermin nicht sicherstellen können, vom Angebot der Beklagten von vornherein ausgeschlossen oder zumindest abgehalten (vgl. Senatsurt., a.a.O., Rn. 26 ff.).
Zwar kommt der Stromlieferungsvertrag noch nicht mit der Absendung des Online-Formulars der Beklagten durch den Kunden zustande, sondern erst dann, wenn das darin liegende Angebot des Verbrauchers von ihr angenommen wird. Darauf kommt es aber nicht. Die von der Beklagten angeführte, allein theoretisch denkbare Fallgestaltung, dass den Kunden nach Abschluss des Bestelledialogs aber noch vor der Annahme des Angebots durch die Beklagte weitere Zahlungsmöglichkeiten angeboten werden könnten, könnte nichts daran ändern, dass die Kunden, die mit dem Lastschriftverfahren nicht einverstanden sind oder die nicht über ein Bankkonto verfügen und die Bestellung deshalb nicht ausfüllen können, von dem Online-Angebot von vornherein ausgeschlossen sind und von einer Wahlmöglichkeit auch keine Kenntnis erlangen können (so auch LG Düsseldorf, Urt. v. 22.10.2015, Az. 14d O 4/15, Rn. 24).
Mit dem Urteil stellt der BGH klar, was sich eigentlich bereits klar aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 2 Satz 1 EnWG* ergibt: Der Energielieferant muss portentiellen Haushaltskunden verschiedene Zahlungsmöglichkeiten anbieten. Die praktische Wirkung dieser Regelung zugunsten des Haushaltskunden darf der Energielieferant auch nicht dadurch aushebeln, dass er durch eine entsprechende Gestaltung seines Online-Bestelldialogs in einem ersten Schritt die potentiellen Kunden "herausfiltert", die Willens sind, per Lastschrift zu zahlen und nur diesen Kunden dann pro forma vor der Vertragsbestätigung noch weitere Zahlungsmöglichkeiten anbietet. Bereits im Bestelldialog muss der Energielieferant potentiellen Haushaltskunden verschiedene Zahlungsmöglichkeiten anbieten. Es ist offensichtlich, dass ein Angebot weiterer Zahlungsmittel in einem weiteren Schrift nach dem Abschluss des Bestelldialoges unüblich und zweckwidrig wäre. Zu Recht stellt der BGH fest, dass es sich bei diesem Einwand der Beklagten daher um eine "allein theoretisch denkbare Fallgestaltung" handelt.
Sollte Ihnen bei dem Versuch des Abschlusses eines Energieliefervertrages nur eine Zahlungsweise angeboten werden, die nicht Ihren Vorstellungen entspricht, müssen Sie das nicht akzeptieren. Wenden Sie sich an den Energielieferanten und verlangen unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH, dass Ihnen der Lieferant weitere Zahlungsmöglichkeiten zur Auswahl stellt. Gern können Sie sich auch an uns wenden. Wir sind berechtigt, gegen entsprechende Rechtsverstöße im öffentlichen Interesse einzuschreiten, können eine Abmahnung aussprechen und wenn erforderlich auch eine Unterlassungsklage erheben.
Auszug aus dem Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG)
* § 41 Energielieferverträge mit Haushaltskunden, Verordnungsermächtigung
[…]
(2) 1Dem Haushaltskunden sind vor Vertragsschluss verschiedene Zahlungsmöglichkeiten anzubieten. 2Wird eine Vorauszahlung vereinbart, muss sich diese nach dem Verbrauch des vorhergehenden Abrechnungszeitraums oder dem durchschnittlichen Verbrauch vergleichbarer Kunden richten. 3Macht der Kunde glaubhaft, dass sein Verbrauch erheblich geringer ist, so ist dies angemessen zu berücksichtigen. 4Eine Vorauszahlung wird nicht vor Beginn der Lieferung fällig.
[…]
Auszug aus dem Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz – UKlaG)
** § 2 Ansprüche bei verbraucherschutzgesetzwidrigen Praktiken
(1) 1Wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze), kann im Interesse des Verbraucherschutzes auf Unterlassung und Beseitigung in Anspruch genommen werden. 2Werden die Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen, so ist der Unterlassungsanspruch oder der Beseitigungsanspruch auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet. 3Bei Zuwiderhandlungen gegen die in Absatz 2 Satz 1 Nummer 11 genannten Vorschriften richtet sich der Beseitigungsanspruch nach den entsprechenden datenschutzrechtlichen Vorschriften.
[…]
Quelle: Urteilsabdruck
Druckansicht weniger Information07.02.2019
Das OLG Schleswig hat heute eine Verurteilung der Mobilcom-Debitel GmbH zur Unterlassung der Erhebung von Mahnpauschalen i.H.v. 5,95 € oder höher und Rücklastschriftpauschalen i.H.v. 4,59 € oder höher bestätigt (Urt. v. 07.02.2019, Az. 2 U 5/18).
Die beklagte Mobilcom-Debitel GmbH bietet als Mobilfunkprovider Telekommunikationsdienstleistungen an. Der klagende Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. verlangt von der Beklagten u.a. die Unterlassung der Erhebung bestimmter Pauschalbeträgen für Mahnungen und Rücklastschriften.
Bis zum Jahre 2013 enthielten die AGB bzw. die Preislisten der Beklagten Bestimmungen über vom Kunden für eine Rücklastschrift zu zahlende Pauschalen – zuletzt in Höhe von 10,00 € – sowie über Mahngebühren in Höhe von 5,95 €. Der Kläger nahm die Beklagte gerichtlich erfolgreich auf Unterlassung der Verwendung dieser Klauseln in Anspruch. Ab April 2013 verwies die Beklagte weder in ihren AGB noch in ihren Preislisten darauf, dass sie im Falle einer nicht eingelösten Lastschrift den betroffenen Kunden pauschal oder in sonstiger Weise auf Schadensersatz in Anspruch nehme. Tatsächlich nahm sie seitdem in Fällen einer Rücklastschrift bei dem betroffenen Kunden in ihre Rechnung einen Betrag von jeweils 7,45 € auf. Auch hinsichtlich dieses Vorgehens nahm der Kläger die Beklagte erfolgreich auf Unterlassung in Anspruch.
Gegenstand des jetzigen Rechtsstreits ist die aktuelle Praxis der Beklagten, in Kundenrechnungen – ohne eine Regelung in ihren AGB oder einer Preisliste – für den Fall einer Mahnung jeweils eine Gebühr in Höhe von 5,95 € sowie im Falle einer Rücklastschrift jeweils einen Betrag zwischen 4,59 € und 15,43 € aufzunehmen. Die Berechnung des für eine Rücklastschrift jeweils verlangten Betrages erfolgt "systemseitig", so dass der Kundenservice der Beklagten dem jeweiligen Kunden keine Auskunft zu den einzelnen Posten geben kann. In den Rechnungen werden zur Aufschlüsselung keine Angaben gemacht. Die Beklagte bezieht nach ihrem eigenen Vortrag im Schriftsatz vom 07.12.2016 folgende Komponenten in die Berechnung des für eine Rücklastschrift in Rechnung gestellten Betrages ein:
Weiterer Gegenstand des jetzigen Rechtsstreits ist eine Bestimmung in den Preislisten der Beklagten, wonach unter der Überschrift "SIM-Karte" für die Position "Kartensperre unbezahlte Rechnung" ein Betrag von 18,50 € brutto erhoben wird.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe gegen die Beklagte hinsichtlich ihrer Praxis zur Erhebung von Mahn- und Rücklastschriftkosten jeweils einen Anspruch auf Unterlassung aus den §§ 1 UKlaG, 306a, 309 Nr. 5 a und b BGB sowie aus den §§ 2 UKlaG, 3 Abs. 2 UWG. Dazu hat er behauptet, die von der Beklagten in Rechnung gestellten Beträge für Mahnungen und Rücklastschriften lägen über dem tatsächlichen Schaden, welcher bei einer Mahnung nur in Höhe von ca. 0,67 € entstehe und bei einer Rücklastschrift in Höhe von allenfalls knapp 3,00 €. Der Kläger hat den Standpunkt vertreten, die von der Beklagten in Rechnung gestellten Rücklastschriftkosten enthielten nach deren eigenem Vortrag auch Positionen, die überhaupt nicht zum ersatzfähigen Schaden gehörten, nämlich Refinanzierungskosten, anteilige Personalkosten für die Bearbeitung der Rücklastschrift und sonstige allgemeine Vorhaltekosten für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur zur Bearbeitung der Rücklastschriften, insbesondere IT-Kosten. Die Beklagte erhebe hinsichtlich der Rücklastschriftkosten jedenfalls in unzulässiger Weise systematisch – und zwar bewusst "unrunde" und nicht aufgeschlüsselte – Pauschalbeträge, ohne dies zuvor vertraglich vereinbart zu haben. Sie stelle gerade nicht die konkreten, in jedem Einzelfall von ihr nachzuweisenden Verzugsschäden in Rechnung. Durch die faktische Inrechnungstellung der nicht vereinbarten Pauschalen für Mahnungen und Rücklastschriften erreiche die Beklagte in der überwiegenden Zahl der Fälle Zahlungen der Kunden, obwohl sie darauf keinen Anspruch habe. Darin liege eine Umgehung der Inhaltskontrolle in Bezug auf ihre AGB und zugleich eine unlautere Geschäftspraktik. Schließlich hat der Kläger die Auffassung vertreten, die Erhebung eines Entgelts von 18,50 € für die Kartensperrung wegen unbezahlter Rechnungen verstoße gegen die §§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 309 Nr. 5 b BGB. Die Beklagte verfolge mit der Sperrung der SIM-Karte ausschließlich ihr eigenes Interesse, wegen des Zahlungsrückstandes keine Leistungen mehr zu erbringen. Der Kunde habe kein Interesse an einer Sperre wegen Zahlungsverzuges.
Die Beklagte ist der Klage (mit Ausnahme eines Unterlassungsantrages wegen einer weiteren Klausel, der nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist) entgegengetreten. Sie hat die Auffassung vertreten, mit den Rechnungspositionen für Mahnungen und Rücklastschriften umgehe sie weder die Vorschriften zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, noch liege in ihrem Verhalten ein Wettbewerbsverstoß im Sinne des § 3 Abs. 2 UWG. Die Beklagte hat behauptet, sie verlange für Rücklastschriften von ihren Kunden nur den Ersatz desjenigen Schadens, der ihr im konkreten Fall tatsächlich durch das pflichtwidrige Verhalten des jeweiligen Kunden entstanden sei. Schließlich hat die Beklagte hinsichtlich der Bestimmung über das Entgelt für eine SIM-Kartensperrung geltend gemacht, es handele sich um eine von ihr zusätzlich angebotene Sonderleistung, die sie im Interesse des Kunden erbringe. Dadurch schütze sie den betroffenen Kunden vor einer weiteren Erhöhung der Zahlungsrückstände und gebe ihm die Möglichkeit, mit ihr über ein Konzept zur Rückführung der aufgelaufenen Beträge zu sprechen, ohne dass sie den Vertrag außerordentlich kündigen müsse. Zudem entstehe ihr, der Beklagten, durch die Sperrung ein realer Schaden in der Weise, dass sie die Möglichkeit verliere, die gegenüber dem Netzbetreiber erbrachten Vorleistungen durch ein Gebührenaufkommen ihrer Kunden zu amortisieren.
Der Kläger begehrte die Unterlassung der systematischen Inrechnungstellung von Rücklastschrift- und Mahnpauschalen, soweit die Beklagte mit ihren Kunden keine vertragliche Vereinbarung über eine pauschale Abgeltung ihres Rücklastschrift- und Mahnschadens getroffen hat, hilfsweise die Unterlassung der systematischen Inrechnungstellung von Mahnpauschalen von mindestens 5,95 € und Rücklastschriftpauschalen von mindestens 4,59 €. Ferner begehrte der Kläger die Unterlassung der Erhebung von Schadensersatzbeträgen für Rücklastschriften, in die Refinanzierungskosten, anteilige Personalkosten oder sonstige allgemeine Vorhaltekosten einberechnet sind und die Unterlassung der Verwendung der Gebührenklausel für die SIM-Kartensperrung.
Das Landgericht Kiel (Urt. v. 19.03.2018, Az. 6 O 351/15) hat der Klage hinsichtlich der Inrechnungstellung der Rücklastschrift- und Mahnpauschalen in den Hilfsanträgen, im übrigen uneingeschränkt stattgegeben. Beide Parteien haben Berufung eingelegt. Der Kläger verfolgt seine erstinstanzlichen Hauptanträge weiter. Die Beklagte begehrt die Abweisung der Klage insgesamt.
Das OLG Schleswig hat die Berufung beider Parteien zurückgewiesen und damit das erstinstanzliche Urteil insgesamt bestätigt.
1.
Das
OLG Schleswig führt zunächst aus, dass dem Kläger die Unterlassungsansprüche zustehen, soweit das Landgericht der Klage stattgegeben hat.
(1)
Der Kläger hat aus den §§ 1 UKlaG, 306a, 309 Nr. 5 BGB einen Anspruch darauf, dass die
Beklagte es unterlässt, Verbrauchern ohne vorherige Individualvereinbarung systematisch
durch ihr entsprechend programmiertes Abrechnungssystem einen Betrag von 5,95 € oder
höher für jede Mahnung in Rechnung zu stellen.
Der Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG bezieht sich nicht nur auf die Verwendung Allgemeiner
Geschäftsbedingungen, die nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksam sind. Vielmehr
kann der Kläger auch dann aus § 1 UKlaG vorgehen, wenn er die Umgehung einer als
Allgemeiner Geschäftsbedingung unwirksamen Regelung im Sinne des § 306a BGB geltend
macht. Die Beklagte umgeht das Klauselverbot in § 309 Nr. 5 BGB durch eine "anderweitige Gestaltung" im Sinne des § 306a BGB, indem sie
sie ihr Abrechnungssystem so gestaltet hat, dass sie im Falle einer Mahnung dem betroffenen
Kunden jeweils einen Betrag von 5,95 € in Rechnung stellt.
(2)
Des Weiteren hat der Kläger aus den §§ 1 UKlaG, 306a, 309 Nr. 5 BGB einen Anspruch
darauf, dass die Beklagte es unterlässt, Verbrauchern ohne vorherige Individualvereinbarung
systematisch durch ihr entsprechend programmiertes Abrechnungssystem einen Betrag
von 4,59 € oder höher für jede vom Kunden zu verantwortende Rücklastschrift in Rechnung
zu stellen. Auch insoweit umgeht die Beklagte das Klauselverbot in § 309 Nr. 5 BGB durch eine "anderweitige
Gestaltung" im Sinne des § 306a BGB, indem sie ihr Abrechnungssystem so gestaltet
hat, dass sie im Falle einer Rücklastschrift dem betroffenen Kunden jeweils einen "systemseitig" errechneten Betrag von 4,59 € bis zu 15,43 € in Rechnung stellt. Nachdem
der Beklagten in verschiedenen vorangegangenen Rechtsstreitigkeiten die Vereinbarung
von Rücklastschriftpauschalen – nach mehrfacher Absenkung zuletzt in Höhe von 10,00 € –
durch AGB verboten worden ist und auch die systematische
Inrechnungstellung des einheitlichen Betrages von 7,45 € unzulässig war, ist die Beklagte
dazu übergegangen, gegenüber ihren Kunden unterschiedliche Beträge für Rücklastschriften
in Rechnung zu stellen, ohne dass diese in den Rechnungen oder auch nur auf Anfrage
durch den Kundenservice aufgeschlüsselt werden. Zu dieser Praxis ist die Beklagte übergegangen,
um weiterhin eine Inhaltskontrolle zu vermeiden. Die tatsächliche Berechnung
von Rücklastschriftkosten in "systemseitig" ermittelter Höhe von 4,59 € bis 15,43 € ohne
entsprechende Vereinbarung ist indes ebenso unzulässig wie die zuvor erhobene einheitliche
Pauschale von 7,45 €.
Keineswegs trifft es zu, dass die Beklagte ihren Kunden mit den wechselnden Beträgen
zwischen 4,59 € und 15,43 € jeweils ihren im konkreten Fall durch eine Rücklastschrift entstandenen
und ersatzfähigen Schaden in Rechnung gestellt hat. Zum einen beinhalten die
durch das Abrechnungssystem errechneten Beträge Pauschalen, die nur hinsichtlich der
Auswahl der einzelnen Komponenten zu einer "Individualisierung" führen. Zum anderen
beinhalten die vermeintlich für den konkreten Fall ermittelten Schadensbeträge systematisch
Refinanzierungs-, IT- und Personalkosten, die schon im Ansatz nicht zum ersatzfähigen Schaden bei einer
Rücklastschrift gehören können.
(3)
Das Landgericht hat die Beklagte des Weiteren zu Recht verurteilt, es zu unterlassen, für
Rücklastschriften ohne vorherige Individualvereinbarung systematisch Beträge zu verlangen,
in die Refinanzierungskosten, anteilige Personalkosten
und sonstige allgemeine Vorhaltekosten einberechnet sind.
Das Landgericht leitet den Unterlassungsanspruch aus den §§ 2 UKlaG,
3 Abs. 2 UWG her. Nach § 3 Abs. 2 UWG
sind geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, dann
unlauter und nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässig, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt
entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers
wesentlich zu beeinflussen. Der Beklagten ist schon
aufgrund der vorangegangenen Rechtsstreitigkeiten bewusst, dass die drei betroffenen Positionen
nicht zum ersatzfähigen Schaden gehören, so dass sie jedenfalls gegen die unternehmerische
Sorgfalt verstößt, wenn sie diese Positionen systematisch zum Bestandteil ihrer
Forderung wegen einer Rücklastschrift macht. Indem sie dies nicht offenlegt und einen
scheinbar am Einzelfall orientierten "unrunden" Betrag in ihrer Rechnung ausweist, beeinträchtigt
sie spürbar die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen und die Zahlung zu unterlassen. Dies ist auch so beabsichtigt.
Zweifelhaft kann nur sein, ob es überhaupt eines Rückgriffes auf die §§ 2 UKlaG, 3 Abs. 2
UWG bedarf, wenn der Unterlassungsanspruch sich bereits aus den §§ 1 UKlaG, 306a, 309
Nr. 5 BGB ergibt. Dies ist aber für das Ergebnis ohne Bedeutung, weil der Anspruch in jedem
Fall besteht. Die Beklagte umgeht das Klauselverbot in § 309 Nr. 5 BGB durch eine "anderweitige Gestaltung" im Sinne des § 306a BGB, indem sie ihr Abrechnungssystem so
gestaltet hat, dass der im Falle einer Rücklastschrift "systemseitig" errechnete und in die
Kundenrechnung aufgenommene Schadensersatzbetrag automatisch die drei Positionen
enthält, die unter keinem Gesichtspunkt zum erstattungsfähigen Schaden gehören.
(4)
Soweit das Landgericht die Beklagte verurteilt hat, die Verwendung der Klausel über die
Erhebung einer Gebühr von 18,50 € für eine SIM-Kartensperrung bei unbezahlter Rechnung
zu unterlassen, hat die Berufung ebenfalls keinen Erfolg. Auf die Entscheidungsgründe des
angefochtenen Urteils wird Bezug genommen. Die Beklagte hält zwar mit der Berufung an
ihrer Auffassung fest, die fragliche Klausel sei nach § 307 Abs. 3 BGB der Inhaltskontrolle
entzogen, weil damit ein Entgelt für eine Leistung vereinbart werde, die sie, die Beklagte,
jedenfalls nicht vorwiegend im eigenen Interesse, sondern im überwiegenden Interesse des
Kunden erbringe. Dies liegt jedoch fern. Der Kunde hat kein Interesse daran, die Möglichkeit
zur Inanspruchnahme von Leistungen der Beklagten zu verlieren und gleichwohl weiterhin
die Grundgebühr an sie zahlen zu müssen. Es mag zwar Einzelfälle geben, in denen
auch ein Kunde ein Interesse an einer Sperrung der SIM-Karte haben kann, wenn es nämlich
aus nicht nachvollziehbaren Gründen zu einer plötzlichen erheblichen Steigerung seines
Gebührenaufkommens kommt und die Möglichkeit eines Missbrauchs durch Dritte im Raum
steht. An einen solchen Tatbestand knüpft die beanstandete Klausel jedoch gerade nicht
an, sondern ausschließlich an den Zahlungsverzug. Dieser tritt in der Regel ohne eine vorherige
unerklärliche Steigerung des Gebührenaufkommens ein, während es im Falle einer solchen
Steigerung keineswegs zwangsläufig zu einem Zahlungsverzug des Kunden kommt.
2.
Ein von der Höhe der in Rechnung gestellten Pauschalen unabhängiger Unterlassungsanspruch steht dem Kläger nach Auffassung des OLG Schleswig jedoch nicht zu, weshalb das Landgericht die entsprechenden Hauptanträge zu Recht abgewiesen habe. Die Feststellung, ob eine Klauselumgehungspraxis nach § 306a BGB vorliegt, könne ebenso wie die Feststellung, ob eine unlautere Handlung nach § 3 Abs. 2 UWG vorliegt, nur in Abhängigkeit von der Höhe der in Rechnung gestellten Pauschalen getroffen werden.
Wurden auch Sie von der Mobilcom-Debitel GmbH zur Zahlung einer Rücklastschrift- oder Mahnpauschale aufgefordert? Haben Sie die Pauschale schon gezahlt und überlegen nun, wie Sie Ihr Geld zurück bekommen können. In unserem Online-Rechtsberatungsforum beraten wir Sie gern. Außerdem halten wir auf unserer Download-Seite ein Musterschreiben bereit, mit dem Sie zu Unrecht gezahlte Pauschalen von der Mobilcom-Debitel GmbH zurückfordern können.
Für unser weiteres Vorgehen gegen Mobilcom sammeln wir weitere Beweise. Sollten auch Ihnen Rechnungen der Mobilcom-Debitel GmbH vorliegen, welche "Rücklastschrift- oder Mahngebühren" enthalten, können Sie unsere Arbeit dadurch unterstützen, dass Sie uns die entsprechenden Rechnungen per E-Mail an info@deutscher-verbraucherschutzverein.de zusenden. Für die Übersendung entsprechender Rechnungen mit Datum ab Februar 2019 zahlen wir Ihnen eine Aufwandsentschädigung i.H.v. 5,00 € pro Rechnung.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 306a Umgehungsverbot
Die Vorschriften dieses Abschnitts finden auch Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.
§ 309 Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit
Auch soweit eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam
…
5. | (Pauschalierung von Schadensersatzansprüchen) die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz oder Ersatz einer Wertminderung, wenn |
|
a) | die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnlich eintretende Wertminderung übersteigt oder | |
b) | dem anderen Vertragsteil nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, ein Schaden oder eine Wertminderung sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale; |
Auszug aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
§ 3 Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen
(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.
(2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.
…
Quelle: Urteilsabdruck
Druckansicht weniger Information15.01.2019
Der BGH hat heute entschieden, dass Fluggästen kein Anspruch auf eine Verzögerungsentschädigung nach der Fluggastrechteverordnung zusteht, wenn die Verspätung auf einem mehrstündigen Systemausfall in einem Flughafenterminal beruht (Urt. v. 15.01.2019, Az. X ZR 15/18 und X ZR 85/18).
In beiden Fällen beanspruchen die Klägerinnen Ausgleichszahlungen in Höhe von jeweils 600 € wegen verspäteter Flüge nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004).
Die Klägerinnen buchten bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen Flüge von New York nach London mit Anschlussflügen nach Stuttgart. Die Flüge von New York nach London starteten verspätet und landeten mehr als zwei Stunden nach der vorgesehenen Ankunftszeit. Infolgedessen erreichten die Reisenden den ursprünglich vorgesehenen Weiterflug in London nicht und kamen mit einer Verspätung von mehr als neun Stunden in Stuttgart an. Die Beklagte beruft sich auf außergewöhnliche Umstände.
Das Amtsgericht Nürtingen (Urt. v. 25.04.2017, Az. 16 C 2592/16 und Urt. v. 27.04.2017, Az. 12 C 2028/16) hat beide Klagen abgewiesen. Die Berufungen der Klägerinnen blieben vor dem Landgericht Stuttgart (Urt. v. 28.02.2018, Az. 5 S 125/17 und Urt. v. 21.12.2017, Az. 5 S 142/17) erfolglos. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde die Verspätung der Flüge durch einen Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern des Terminals 7 am John-F.-Kennedy-Flughafen New York verursacht. Aufgrund eines Streiks bei dem für die Telekommunikationsleitungen gegenüber dem Flughafenbetreiber verantwortlichen Unternehmen konnte der Systemausfall erst nach 13 Stunden behoben werden.
Der BGH hat in beiden Fällen die Revision der Klägerinnen zurückgewiesen.
Nach den Urteilen des für das Personenbeförderungsrecht zuständigen X. Zivilsenats ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass ein mehrstündiger Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern eines Terminals außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung begründen kann. Der Betrieb der technischen Einrichtungen eines Flughafens, zu denen auch die Telekommunikationsleitungen gehören, obliegt dem Flughafenbetreiber. Ein Systemausfall, der darauf beruht, dass die Funktionsfähigkeit derartiger Einrichtungen durch einen technischen Defekt über einen längeren Zeitraum beeinträchtigt oder aufgehoben wird, stellt ein Ereignis dar, das von außen auf den Flugbetrieb des Luftverkehrsunternehmens einwirkt und dessen Ablauf beeinflusst. Ein derartiges Vorkommnis ist von diesem Unternehmen jedenfalls nicht zu beherrschen, da die Überwachung, Wartung und Reparatur derartiger Einrichtungen nicht in seinen Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereich fällt.
Auch die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe mit der manuell und über Mitarbeiter in Washington telefonisch durchgeführten Abfertigung der Fluggäste alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um den durch den Systemausfall bedingten Beeinträchtigungen entgegenzuwirken, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Dass die Beklagte, wie die Revisionen rügen, durch ein Ausweichen auf die technischen Einrichtungen eines anderen Terminals die Verspätung hätte verhindern können, ist weder festgestellt noch vorgetragen.
Unerheblich ist, ob die Beklagte, wie die Revisionen ferner meinen, den Start des gebuchten Flugs von London nach Stuttgart verschieben, die Klägerinnen auf einen anderen Flug von London nach Stuttgart umbuchen oder einen zusätzlichen Flug nach Stuttgart hätte durchführen können. Selbst wenn darin der Beklagten zumutbare Maßnahmen gesehen würden, kommt es hierauf nicht an, weil damit die für Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung allein erhebliche Verspätung des Fluges von New York nach London nicht hätte verhindert werden können.
Art. 7 Ausgleichsanspruch
(1) 1Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
…
c)600 € bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.
2 …
Art. 5 Annullierung
…
(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
…
Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 4/2019
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