13.06.2022
Der BGH hat heute darüber entschieden, unter welchen Voraussetzungen Restschadensersatz bei EU-Reimporten im sogenannten Dieselskandal zu gewähren ist (Urt. v. 13.06.2022, Az. VIa ZR 680/21).
Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch. Er bestellte am 13.08.2014 bei einem deutschen Händler als EU-Reimport einen Neuwagen des Typs VW Tiguan zum Preis von 30.000 €. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 25.10.2014 mit einer EG-Übereinstimmungsbescheinigung und einer Laufleistung von 0 km übergeben. Der deutsche Händler hatte das Fahrzeug zuvor von einem Händler in einem anderen EU-Mitgliedstaat erhalten, der es von der Beklagten erworben hatte.
Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs und des darin verbauten Dieselmotors der Baureihe EA 189. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die hinsichtlich der Abgasrückführung zwischen Prüfstand und gewöhnlichem Fahrbetrieb unterschied, sodass die Emissionsgrenzwerte für Stickoxide nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beanstandete die Software im Jahr 2015. Die Beklagte entwickelte ein Software-Update, das vom KBA zugelassen wurde. Die Beklagte informierte den Kläger im Februar 2016 über die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal. Im November 2016 ließ der Kläger das Software-Update aufspielen.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 30.000 € nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie zur Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zu verurteilen und den Annahmeverzug der Beklagten festzustellen. Das Landgericht Ravensburg (Urt. v. 13.04.2021, Az. 4 O 379/20) hat die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers, mit der er die Höhe der anzurechnenden Nutzungsentschädigung etwas reduziert und hilfsweise beantragt hat, die Beklagte zur Zahlung von 7.500 € ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt zu verurteilen, hat das Oberlandesgericht Stuttgart (Urt. v. 18.11.2021, Az. 14 U 58/21) die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels gemäß dem Hilfsantrag ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt verurteilt, 2.250 € an den Kläger zu zahlen. Dabei hat das Berufungsgericht angenommen, die Beklagte sei dem Grunde nach gemäß §§ 826, 31 BGB zum Schadensersatz in Form der Rückgängigmachung des Kaufvertrags über das Fahrzeug verpflichtet. Dieser Anspruch sei jedoch verjährt. Die Beklagte habe allerdings gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB den auf Kosten des Klägers erlangten Kaufpreis herauszugeben, soweit er ihr nach Abzug der Herstellungskosten und der Händlermarge verblieben sei. Dass der Kläger das Fahrzeug nicht direkt von der Beklagten, sondern über einen Händler als reimportierten EU-Neuwagen erworben habe, schließe die Anwendung des § 852 Satz 1 BGB nicht aus. Auch wenn die Beklagte das Neufahrzeug zunächst in das EU-Ausland verkauft und den Kaufpreis unmittelbar von dem erwerbenden Händler erhalten habe, habe sie ihn doch bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht auf dessen Kosten, sondern auf Kosten des Klägers erlangt.
Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung des Klägers weiterverfolgt hat, hatte ebenso Erfolg wie die Anschlussrevision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge teilweise weiter geltend gemacht hat. Revision und Anschlussrevision führten im Umfang des Angriffs der Parteien in der Revisionsinstanz zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Dabei hielt die Annahme des Berufungsgerichts, der Anspruch aus §§ 826, 31 BGB sei verjährt, einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen reichten aber nicht aus, um einen Anspruch des Klägers aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB zu bejahen.
Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils am 21. März 2022 (VIa ZR 275/21, WM 2022, 745) für den Erwerb von Neuwagen über einen Händler ohne Bezug zum EU-Ausland bereits entschieden hat, hängt die Frage, ob der Erwerber nach Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB geltend machen kann, von den vom Tatrichter festzustellenden Umständen des Einzelfalls ab. Liegt danach dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Fahrzeughersteller zugrunde und schließen der Fahrzeughersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Fahrzeughersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Fahrzeughersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen. Hat der Händler dagegen das streitgegenständliche Fahrzeug unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben, fehlt es an dem für §§ 826, 852 Satz 1 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Nach Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB besteht dann auch kein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB.
Mit der heutigen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass diese Grundsätze auch für den Erwerb im Wege des EU-Reimports gelten. Die Beteiligung eines weiteren, im EU-Ausland ansässigen Zwischenhändlers neben dem inländischen Händler und Verkäufer schließt eine Vermögensverschiebung vom geschädigten Erwerber zum Hersteller eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeugs im Sinne von §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht aus. Erforderlich ist jedoch auch hier, dass der Fahrzeugerwerb durch den geschädigten Erwerber zu einem korrespondierenden Vermögenszuwachs beim Hersteller geführt hat. Das ist nur dann der Fall, wenn weder der inländische Händler noch der ausländische Zwischenhändler das Fahrzeug zuvor unabhängig von der Bestellung des Geschädigten auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben haben.
Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung der Sache Gelegenheit haben, zu dieser entscheidungsrelevanten Frage weitere Feststellungen zu treffen. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, dem Kläger stehe dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB zu, wird es bei der Bemessung der Höhe des Anspruchs die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 21. Februar 2022 (VIa ZR 8/21, WM 2022, 731, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ, und VIa ZR 57/21, WM 2022, 742) zu beachten haben.
Die Entscheidung des BGH betrifft eine spezielle Frage im Rahmen der Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Fahrzeugkäufer im sog. "Dieselskandal". Die Schadensersatzansprüche der Autokäufer wegen sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB verjähren gem. § 195 BGB binnen drei Jahren zum Jahresende. Die Verjährung beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der der Autokäufer Kenntnis von den Umständen, die den Schadensersatzanspruch begründen, erlangt. Der Kenntnis steht der Zeitpunkt gleich, in dem der Käufer ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntis erlangen müssen. Bei dem Volkswagen-Motor EA 189, mit dem der "Dieselskandal" begann, geht der BGH davon aus, dass die Autokäufer spätestens im Jahr 2015 anhand der umfangreichen Presseberichterstattung Kenntnis erlangen mussten. Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB sind daher mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt. Es gibt jedoch eine spezielle Norm im Bereicherungsrecht, die Geschädigten unter Umständen auch noch nach Verjährung der Schadensersatzansprüche einen – wenn auch geringeren – Anspruch verschaffen kann. Dabei handelt es sich um § 852 BGB. Nach dieser Vorschrift soll der Schädiger einen Vorteil, den er durch die unterlaubte Handlung erlangt hat, auch bei Verjährung des Schadensersatzanspruchs nicht behalten dürfen, sondern an den Schädiger herausgeben müssen. Es stellt sich daher die Frage, ob der Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs nach Eintritt der Verjährung jedenfalls noch den sog. Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB geltend machen kann.
Diese Frage hatte der BGH mit Urteil vom 10.02.2022 für einen Gebrauchtwagenkauf verneint, weil der Hersteller bei einem Gebrauchtwagenverkauf weder unmittelbar noch mittelbar an einem etwaigen Verkäufergewinn aus diesem Kaufvertrag partizipiert. Wir hatten in unseren Hinweisen zu dem Urteil bereits darauf hingewiesen, dass die Frage für den Käfer eines Neuwagens anders zu beurteilen sein dürfte. Tatsächlich hatte der BGH mit Urteil vom 21.02.2022 dann entschieden, dass dem Käufer eines vom "Dieselskandal" betroffenen Neuwagens nach Verjährung des Schadensersatzanspruchs noch der Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB zusteht. Die Bereichung des Fahrzeugherstellers sieht der BGH in dem vom Händler erhaltenen Einkaufspreis. Der Hersteller könne Herstellungs- und Bereitstellungskosten für das Fahrzeug nicht abziehen, weil er sich bösgläubig bereichert habe. Da der Anspruch auf Restschadensersatz nicht weiter als der Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB reicht, müsse sich der Geschädigte aber eine Nutzungsentschädigung für die von ihm mit den Fahrzeugen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen und könne Zahlung nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Fahrzeuge verlangen. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Weil der Kaufpreis des Fahrzeugs abzüglich der Nutzungsvorteile nach Ablauf der Verjährungsfrist praktisch immer unter dem Einkaufspreis des Händlers liegt, erhalten die Käufer eines vom "Dieselskandal" betroffenen Neuwagens nach Verjährung des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB über den Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB praktisch Schadensersatz in selber Höhe.
Nun hatte der BGH über den sehr speziellen Fall des Kaufs eines sog. Reimport-Fahrzeuges zu entscheiden. Beim Reimport wird ein vom Hersteller ursprünglich für einen ausländischen Markt hergestelltes Fahrzeug von einem ausländischen Zwischenhändler durch einen inländischen Händer importiert und auf dem deutschen Markt an den Erwerber verkauft. Der BGH hat nun entschieden, dass es auch in diesem Fall darauf ankommt, ob der Fahrzeugerwerb durch den geschädigten Erwerber zu einem korrespondierenden Vermögenszuwachs beim Hersteller geführt hat. Das sei nur dann der Fall, wenn weder der inländische Händler noch der ausländische Zwischenhändler das Fahrzeug zuvor unabhängig von der Bestellung des geschädigten Erwerber auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben haben.
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
§ 195 Regelmäßige VerjährungsfristQuelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 092/2022 vom 13.06.2022
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Letzte Aktualisierung: 13.06.2022