22.06.2022
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine wirksame Grundlage für Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung in § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 (Musterbedingungen 2009 des Verbandes der privaten Krankenversicherung; i.F.: MB/KK) in Verbindung mit den Tarifbedingungen des Versicherers enthalten ist. Dies betrifft Beitragserhöhungen, bei denen der Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen eine Abweichung über dem tariflich festgelegten Prozentsatz von 5 % ergeben hat, der gesetzliche Schwellenwert von 10 % aber nicht überschritten wird (Urt. v. 22.06.2022, Az IV ZR 253/20).
Der Kläger wendet sich gegen mehrere Beitragserhöhungen seines privaten Krankenversicherers, die er für unwirksam hält, und klagt daher unter anderem auf Rückzahlung der auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteile.
Das Landgericht Köln (Urt. v. 18.09.2019, Az. 23 O 392/18) hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht Köln (Urt. v. 22.09.2020, Az. 9 U 237/19) das erstinstanzliche Urteil zum Teil abgeändert und die Beklagte unter anderem zur teilweisen Rückzahlung der Prämienanteile verurteilt. Dabei hat es angenommen, dass mehrere Prämienerhöhungen wegen einer unzureichenden Begründung in den Mitteilungsschreiben zunächst nicht wirksam geworden seien. Weitere Prämienanpassungen hat es dagegen für endgültig unwirksam gehalten, da die Beitragsanpassungsklausel in § 8b Abs. 1 und 2 MB/KK unwirksam sei.
Soweit die Klage Erfolg hatte, richtet sich dagegen die Revision der Beklagten.
Der unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des BGH hat hinsichtlich der Prämienanpassungen, die das Berufungsgericht für materiell unwirksam gehalten hat, das Berufungsurteil nicht bestätigt. Für diese Erhöhungen besteht eine wirksame Prämienanpassungsklausel in § 8b Abs. 1 MB/KK in Verbindung mit den Tarifbedingungen des Versicherers.
Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK unwirksam. Diese Regelung weicht entgegen § 208 Satz 1 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG ab. Während nach der gesetzlichen Vorschrift eine Prämienanpassung zwingend voraussetzt, dass die Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage nicht nur als vorübergehend anzusehen ist, sieht § 8b Abs. 2 MB/KK vor, dass der Versicherer bei einer nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung von der Prämienanpassung absehen "kann", d.h. auch in diesem Fall ist sie nicht ausgeschlossen.
Die Unwirksamkeit von § 8b Abs. 2 MB/KK hat aber nicht zur Folge, dass auch § 8b Abs. 1 MB/KK unwirksam und die darauf bezugnehmende Regelung in den Tarifbedingungen des Versicherers nicht mehr anwendbar wäre. § 8b Abs. 1 MB/KK weicht nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von den gesetzlichen Vorschriften über die Prämienanpassung ab. Die Klausel enthält dieselben Voraussetzungen wie § 203 Abs. 2 VVG und erlaubt eine Prämienanpassung insbesondere nur bei einer Veränderung der Rechnungsgrundlagen, die nicht nur als vorübergehend anzusehen ist. Mit der Regelung des § 8b Abs. 1 MB/KK in Verbindung mit den Tarifbedingungen macht der Versicherer allein von der ihm in § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, den Schwellenwert für die Prüfung einer Beitragsanpassung von 10 % auf 5 % abzusenken.
Der Bestand der Regelung in § 8b Abs. 1 MB/KK wird auch durch die Streichung von § 8b Abs. 2 MB/KK nicht beeinträchtigt, da der Sinn der verbleibenden Regelung weiterhin aus sich heraus verständlich ist.
Die Revision hatte zum Teil Erfolg und führte zu einer teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils. Hinsichtlich mehrerer Nebenforderungen ist das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt worden. Soweit das Berufungsgericht zu Unrecht von einer materiellen Unwirksamkeit der Prämienanpassungen ausgegangen ist und deren formelle Wirksamkeit noch nicht geprüft hat, hat der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit es diese Prüfung nachholen kann.
Das Urteil des BGH lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass die festgestellte Unwirksamkeit der Regelung in § 8b Abs. 2 MB/KK in der Regel folgenlos bleibt. Die Unwirksamkeit der Klausel führt lediglich dazu, dass der Versicherer bei einer nur als vorübergehend anzusehenden Änderung einer für die Prämienkalkulation maßgebliche Berechnungsgrundlage keine Beitragserhöhung durchführen darf. Die Regelung in § 8b Abs. 1 MB/KK bleibt davon jedoch unberührt. In Zusammenschau mit den Tarifbedingungen zu § 8b sind Beitragsanpassungen des hier beklagten Versicherers daher wirksam, wenn sie auf einer Änderung der maßgeblichen Berechnungsgrundlage von mindestens 5 % beruhen.
Auszug aus dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
§ 203 Prämien- und BedingungsanpassungAuszug aus dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)
§ 155 PrämienänderungenAuszug aus den Musterbedingungen 2009 des Verbandes der privaten Krankenversicherung; i.F.: MB/KK)
§ 8bTarifbedingungen zu § 8b Abs. 1 MB/KK 2009
Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei den Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst; bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden.Quelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 095/2022 vom 22.06.2022
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Letzte Aktualisierung: 22.06.2022