Häufig besuchte Seiten:

News

15.11.2023

Kammergericht Berlin (KG) bestätigt Unwirksamkeit einer Preisanpassungsklausel in den AGB von Netflix

Das KG hat heute entschieden, dass eine Klausel in den Nutzungsbedingungen des Streamingdienstes Netflix, durch welche sich der Streamingdienst ein Recht zur einseitigen Preisanpasssung einräumt, unwirksam ist (Urt. v. 15.11.2023, Az. 23 U 15/22).

Sachverhalt

Im Streit steht die Wirksamkeit der Preisanpassungsklausel der beklagten Netflix International B.V. in ihren AGB, die der Kläger als Dachverband der Verbraucherzentralen und weiterer Verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland beanstandet. Die Beklagte ist eine Tochter der in den USA ansässigen Netflix Inc. Sie betreibt unter anderem in Deutschland den Video-Streamingdienst "Netflix". Die von der Beklagten angebotene Dienstleistung wird im Wege von Abonnements vertrieben.

Für die von der Beklagten mit den Nutzern geschlossenen Verträge verwendet die Beklagte Nutzungsbedingungen, die in Ziffer 6.1 grundsätzlich die Anwendbarkeit niederländischen Rechtsvorsehen. Gemäß Ziffer 3.4 kann der Nutzer den Vertrag jederzeit kündigen und hat dann bis zum Ende des Abrechnungszeitraums weiterhin die Möglichkeit, die Dienstleistung zu nutzen.

Die streitgegenständliche Ziffer 3.5. der AGB lautet wie folgt:

Änderungen am Preis und Abo-Angebot. Wir sind berechtigt, den Preis unserer Abo-Angebote von Zeit zu Zeit in unserem billigen Ermessen zu ändern, um die Auswirkungen von Anderungen der mit unserem Dienst verbundenen Gesamtkosten widerzuspiegeln. Beispiele für Kostenelemente, die den Preis unserer Abo-Angebote beeinflussen, sind Produktions- und Lizenzkosten, Kosten für die technische Bereitstellung und die Verbreitung unseres Dienstes, Kundendienst und andere Kosten des Verkaufs (z. B. RechnungssteIlung und Bezahlung, Marketing), allgemeine Verwaltungs- und andere Gemeinkosten (z.B. Miete, Zinsen und andere Finanzierungskosten, Kosten für Personal, Dienstleister und Dienstleistungen, IT-Systeme, Energie) sowie staatlich auferlegte Gebühren, Beiträge, Steuern und Abgaben. Alle Preisänderungen gelten frühestens 30 Tage nach Bekanntgabe an Sie. Sie können Ihre Mitgliedschaft jederzeit während der Kündigungsfrist kündigen, um zukünftige Belastungen zu vermeiden.

Der Kläger hält die Klausel wegen unangemessener Benachteiligung der Vertragspartner der Beklagten für unwirksam.

Verfahrensgang:

Das Landgericht Berlin (Urt. v. 16.12.2021, Az. 52 O 157/21) hat der Klage stattgegeben und der Beklagten die Verwendung der Klausel untersagt. Hiergegen wendet sich Beklagte mit ihrer Berufung.

Die Entscheidung des KG:

Das KG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und damit die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu. Ziff. 3.5. der AGB der Beklagten ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, weil die Bestimmung die Vertragspartner der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch richtet sich gem. Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO nach deutschem Recht. Unbeschadet dessen wäre die Wirksamkeit der Klausel zwar grundsätztlich nach niederländischem Recht zu beurteilen, denn Ziff. 6.1. der AGB der Beklagten enthalten eine gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Rom-I-Va zulässige Rechtswahl zugunsten des niederländischen Rechts. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom-I-Va darf eine solche Rechtswahl dem Verbraucher allerdings nicht den Schutz der Bestimmungen entziehen, von denen nach dem ohne die Rechtswahl anzuwendenden Recht nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Dementsprechend sind die §§ 305 ff. BGB bei Verträgen, die Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland geschlossen haben, auch dann in den Blick zu nehmen, wenn das Vertragsstatut nicht das deutsche Recht vorsieht. Einer Prüfung der Wirksamkeit der Klausel nach niederländischem Recht bedarf es daher hier nicht, da sich die Unwirksamkeit der Regelung bereits aus dem zwingenden deutschen AGB-Recht ergibt, das zur Anwendung käme, wenn das niederländische Recht weniger verbraucherschützend wäre.

Ziff. 3.5. der AGB der Beklagten benachteiligt die Vertragspartner der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben in unangemessener Weise. Dies ergibt sich hier bereits aus dem mangelnden berechtigten Interesse der Beklagten an einer Preisanpassungsklausel. Zwar ist bei einer AGB-Verwenderin in Dauerschuldverhältnissen grundsätzlich ein berechtigtes Interesse, eine Preisanpassung an geänderte Koslen vorzunehmen, zu bejahen. Dies gilt jedoch dann nicht wenn das Vertragsverhältnis – wie im Bereich der Streaming-Dienste üblich – mit der beidseitigen Möglichkeit der kurzfristigen Vertragsbeendigung ausgestaltet worden ist. Die Beklagte muss demnach stets auf der Grundlage kurzfristig schwankender Nutzerzahlen kalkulieren. Es ist nicht ersichtlich, dass sie ohne die Einräumung einer Preisanpassungsklausel gezwungen wäre, von vornherein höhere Preise zu kalkulieren, zumal in dem von ihr beschriebenen Marktumfeld, das ihr für Preiserhöhungen nach eigenem Vortrag enge Grenzen setzt. Ferner hat sie die Möglichkeit, Kostensteigerungen zeitnah mittels einer Änderungskündigung weiterzugeben. Der Preis der leistung der Beklagten ist dabei, wie sie selbst betont, nicht etwa von Preisen auf stark volatilen Märkten abhängig, die ihre Gestehungskosten - wie es etwa bei Strom- und Gaspreisen der Fall ist - so kurzfristig erheblich ändern können, dass eine Wahrung der Kündigungsfrist nicht zumutbar wäre. Von dem Risiko, sich im Rahmen einer ÄnderungskOndigung mit einem neuen Angebot dem Wettbewerb stellen zu müssen, darf die Beklagte sich nicht auf Kosten ihrer Vertragspartner befreien.

Unabhängig davon ergibt sich die Unwirksamkeit der Klausel aber auch deshalb aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil die Klausel zwar eine Berechtigung der Beklagten vorsieht, gesunkene Kosten zum Anlass von Preiserhöhungen zu machen, nicht hingegen die Verpflichtung, nach denselben Maßstäben gesunkene Gesamtkosten zum Anlass für eine Reduzierung des Preises zu nehmen (sog. Gebot der Reziprozität).

Rat und Tat für Sie:

Sind Sie selbst Kunde von Netflix und einer einseitigen Preiserhöhung während der Laufzeit Ihres Vertrages ausgesetzt? Wenn ja, dann können Sie den aufgrund der Preiserhöhung gezahlten Mehrpreis von Netflix zurückfordern. Dazu halten wir auf unserer Download-Seite ein Musterschreiben bereit. Es ist jedoch schnelles Handeln gefragt, denn die Rückforderungsansprüche verjähren binnen drei Jahren zum Jahresende. Rückforderungsansprüche wegen Zahlungen, die Sie im Jahr 2020 geleistet haben, verjähren daher schon zum 31.12.2023, Rückforderungsansprüche wegen Zahlungen im Jahr 2021 verjähren zum 31.12.2024, usw. Sie können die Verjährung nur verhindern, indem Sie vor Fristablauf eine sog. verjährungshemmende Maßnahme ergreifen, also z.B. einen gerichtlichen Mahnbescheid beantragen oder Klage erheben. Die an Netflix gerichtete Zahlungsaufforderung allein hemmt die Verjährung noch nicht.

Wenn Sie Fragen haben, können Sie gern unsere Online-Rechtsberatung nutzen. Wir helfen Ihnen gern.


Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)

§ 307 Inhaltskontrolle
(1) ¹Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. …


Quelle: Urteilsabdruck

nach oben