19.12.2018
Der u.a. für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass eine vom Versicherer mit Zustimmung eines "unabhängigen Treuhänders" gemäß § 203 Abs. 2 VVG vorgenommene Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung nicht allein wegen einer ggf. zu verneinenden Unabhängigkeit als unwirksam anzusehen ist. Ist der zustimmende Treuhänder gemäß den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes (im Streitfall noch § 12b VAG a.F.) ordnungsgemäß bestellt worden, so findet eine gesonderte Überprüfung seiner Unabhängigkeit durch die Zivilgerichte im Rechtsstreit des einzelnen Versicherungsnehmers über eine Prämienanpassung nicht statt. Die Zivilgerichte haben aber in einem solchen Rechtsstreit die materielle Rechtmäßigkeit der Prämienanpassung zu überprüfen (Urt. v. 19.12.2018, Az. IV ZR 255/17).
In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit wandte sich der Kläger gegen Beitragserhöhungen für die Kalenderjahre 2012 und 2013, die sein privater Krankenversicherer auf der Grundlage von § 203 Abs. 2 VVG vorgenommen hatte. Zur Begründung hat der Kläger u.a. eine fehlende Unabhängigkeit des vom beklagten Versicherer nach den Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes (hier noch § 12b VAG a.F.) bestellten Treuhänders, der gemäß § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG der Prämienerhöhung zugestimmt hatte, und eine nicht ausreichende Mitteilung der Gründe über die Beitragsanpassung durch den Versicherer geltend gemacht.
(Informativer Hinweis: Zur Problematik der formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Prämienanpassung nach § 203 VVG ist derzeit eine Vielzahl von Verfahren bei den Instanzgerichten anhängig. Dabei haben insbesondere zahlreiche Amts- und Landgerichte ähnlich wie die Vorinstanzen im Streitfall eine Unabhängigkeit der jeweils tätig gewordenen Treuhänder verneint oder aber die Mitteilung der Gründe für die Beitragsanpassung für unzureichend erachtet. Dagegen hat das Oberlandesgericht Celle in einer neueren Entscheidung (Urt. v. 20.08.2018, Az. 8 U 57/18) angenommen, dass die Unabhängigkeit des Treuhänders im Zivilprozess nicht zu überprüfen sei. Diese sei lediglich Bestellungsvoraussetzung im Verfahren nach dem VAG.)
Die Amtsgericht Potsdam (Urt. v. 18.10.2016, Az. 29 C 122/16) hat die Unwirksamkeit der Anpassungen festgestellt und den beklagten Versicherer u.a. auch zur Rückzahlung der in den Jahren 2012 bis 2015 vom Kläger zunächst gezahlten Erhöhungsbeträge verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten ist vor dem Landgericht Potsdam (Urt. v. 27.09.2017, Az. 6 S 80/16) erfolglos geblieben. Nach Auffassung des Berufungsgerichts war der tätig gewordene Treuhänder nicht von der Beklagten unabhängig. Das ergebe sich aus dem Umfang seiner von ihr bezogenen Vergütung, dem Umstand, dass er für die Beklagte über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren tätig gewesen sei und hierbei alle Prämienanpassungen der Beklagten geprüft sowie von einem mit ihr verbundenen Unternehmen ein Ruhegehalt bezogen habe. Bei der Unabhängigkeit des Treuhänders handele es sich um eine im Zivilprozess über die Beitragsanpassung in vollem Umfang überprüfbare Wirksamkeitsvoraussetzung.
Der BGH hat demgegenüber entschieden, dass die Unabhängigkeit nur die Voraussetzung für die Bestellung des Treuhänders nach den aufsichtsrechtlichen Vorschriften, nicht aber für die Wirksamkeit der von ihm nach seiner Bestellung abgegebenen Erklärung ist. Sie ist deshalb von den Zivilgerichten im Rechtsstreit über eine Prämienanpassung nicht gesondert zu prüfen. Insoweit hat allein die Aufsichtsbehörde aufgrund der ihr vom Gesetzgeber eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse sicherzustellen, dass das Versicherungsunternehmen mit der Prüfung der Prämienkalkulation einen unabhängigen und sachkundigen Treuhänder betraut; die Interessen des Versicherungsnehmers sind dadurch gewahrt, dass im Rechtsstreit über eine Prämienerhöhung vor den Zivilgerichten eine umfassende materielle Prüfung der Ordnungsgemäßheit der vorgenommenen Beitragsanpassung stattfindet.
Die genannte gesetzliche Kompetenzzuweisung, wie sie sich auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt, würde durch eine sachliche Überprüfung einzelner Bestellungsvoraussetzungen im Rechtsstreit des einzelnen Versicherungsnehmers um die Wirksamkeit der Prämienanpassung mangels Rechtskraftwirkung für andere Versicherungsnehmer unterlaufen. Insbesondere liefe es dem Zweck der Regelung in § 12b Abs. 2, 2a VAG a.F. (bzw. jetzt § 155 VAG) und § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG zuwider, wenn eine Prämienanpassung trotz Vorliegens der inhaltlichen Voraussetzungen allein an einer fehlenden Unabhängigkeit des zuständigen Treuhänders scheitern würde. Denn die Vorschriften zur Prämienanpassung bezwecken es vor allem, die dauerhafte Erfüllbarkeit der Versicherungsleistungen durch den Versicherer zu gewährleisten. Demgemäß berechtigt die Regelung in § 12b Abs. 2, 2a VAG a.F. (jetzt § 155 VAG) den Versicherer nicht nur zur Vornahme einer Prämienanpassung unter den dort genannten Voraussetzungen, sondern begründet zugleich eine entsprechende Verpflichtung. Daraus ergibt sich, dass auch eine vorübergehende Äquivalenzstörung im Interesse der Beitragsstabilität vermieden werden muss. Eine solche träte ein, wenn eine Prämienanpassung, zu der der Versicherer zwecks Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit aus materiellen Gründen verpflichtet ist, nur wegen fehlender Unabhängigkeit des Treuhänders für unwirksam erklärt würde, diese aber im Zuge der nächsten jährlichen Überprüfung vom Versicherer nachgeholt werden müsste, wobei die dann vorzunehmende Anpassung wegen der zwischenzeitlich entstandenen Lücke bei den Prämienzahlungen gegebenenfalls sogar höher ausfallen könnte.
Aufgrund der umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung der Prämienanpassung anhand der ins Einzelne gehenden engen und verbindlichen materiellen Vorgaben durch die Zivilgerichte ist für die Versicherungsnehmer auch der gebotene wirkungsvolle Rechtsschutz gegen vom Versicherer vorgenommene Beitragsanpassungen gewährleistet, ohne dass ihnen hierfür eine gesonderte Überprüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders und damit der aufsichtsrechtlichen Voraussetzungen für die Bestellung zum Treuhänder ermöglicht werden müsste. Die sachliche Richtigkeit der Zustimmung des Treuhänders zur Prämienanpassung wird insofern inzident mitgeprüft.
Der BGH hat daher das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses prüfen kann, ob die Prämienanpassungen ausreichend im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG begründet worden sind und ggf. ob die materiellen Voraussetzungen für die Prämienanpassung vorgelegen haben.
§ 203 Prämien- und Bedingungsanpassung
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(2) Ist bei einer Krankenversicherung das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen, ist der Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat. … Für die Änderung der Prämien, Prämienzuschläge und Selbstbehalte sowie ihre Überprüfung und Zustimmung durch den Treuhänder gilt § 155 in Verbindung mit einer auf Grund des § 160 des Versicherungsaufsichtsgesetzes erlassenen Rechtsverordnung.
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(5) Die Neufestsetzung der Prämie und die Änderungen nach den Absätzen 2 und 3 werden zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Mitteilung der Neufestsetzung oder der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt.
§ 155 Prämienänderungen
(1) Bei der nach Art der Lebensversicherung betriebenen Krankenversicherung dürfen Prämienänderungen erst in Kraft gesetzt werden, nachdem ein unabhängiger Treuhänder der Prämienänderung zugestimmt hat. Der Treuhänder hat zu prüfen, ob die Berechnung der Prämien mit den dafür bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang steht. … Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des Satzes 2 erfüllt sind.
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(3) Das Versicherungsunternehmen hat für jeden nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Tarif zumindest jährlich die erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Ergibt die der Aufsichtsbehörde und dem Treuhänder vorzulegende Gegenüberstellung für einen Tarif eine Abweichung von mehr als 10 Prozent, sofern nicht in den allgemeinen Versicherungsbedingungen ein geringerer Prozentsatz vorgesehen ist, hat das Unternehmen alle Prämien dieses Tarifs zu überprüfen und, wenn die Abweichung als nicht nur vorübergehend anzusehen ist, mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen. …
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§ 12b Prämienänderung in der Krankenversicherung; Treuhänder
(1) Bei der nach Art der Lebensversicherung betriebenen Krankenversicherung dürfen Prämienänderungen erst in Kraft gesetzt werden, nachdem ein unabhängiger Treuhänder der Prämienänderung zugestimmt hat. Der Treuhänder hat zu prüfen, ob die Berechnung der Prämien mit den dafür bestehenden Rechtsvorschriften in Einklang steht. … Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Voraussetzungen des Satzes 2 erfüllt sind.
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(2) Das Versicherungsunternehmen hat für jeden nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Tarif zumindest jährlich die erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Ergibt die der Aufsichtsbehörde und dem Treuhänder vorzulegende Gegenüberstellung für einen Tarif eine Abweichung von mehr als 10 vom Hundert, sofern nicht in den allgemeinen Versicherungsbedingungen ein geringerer Vomhundertsatz vorgesehen ist, hat das Unternehmen alle Prämien dieses Tarifs zu überprüfen und, wenn die Abweichung als nicht nur vorübergehend anzusehen ist, mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen. …
(2a) Das Versicherungsunternehmen hat für jeden nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Tarif jährlich die erforderlichen mit den kalkulierten Sterbewahrscheinlichkeiten durch Betrachtung von Barwerten zu vergleichen. Ergibt die der Aufsichtsbehörde und dem Treuhänder vorzulegende Gegenüberstellung für einen Tarif eine Abweichung von mehr als 5 vom Hundert, hat das Unternehmen alle Prämien dieses Tarifs zu überprüfen und mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen. …
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Quelle: Pressemitteilungen des BGH, Nr. 174/2018 und 194/2018
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Letzte Aktualisierung: 30.12.2018