09.05.2015
Nach Auffassung des BGH schuldet das Luftverkehrsunternehmen eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung auch dann, wenn der Flug (nicht nur geringfügig) vorverlegt wird (Urt. v. 09.05.2015, Az. X ZR 59/14).
Die Kläger begehren Ausgleichszahlungen in Höhe von jeweils 400 € nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c* i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b** der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen).
Die Kläger buchten bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen Flüge von Düsseldorf nach Fuerteventura und zurück. Der Rückflug sollte am 5. November 2012 um 17.25 Uhr durchgeführt werden. Am 2. November 2012 informierte die Beklagte die Kläger, dass der Flug auf 8.30 Uhr vorverlegt worden sei. Die Kläger sind der Auffassung, die Vorverlegung des Fluges um etwa 9 Stunden begründe eine Verpflichtung der Beklagten zur Ausgleichzahlung, weil die Flugzeitänderung eine Annullierung gewesen sei, zumindest aber einer deutlichen Verspätung im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gleichgestellt werden müsse.
Die Klage ist vor dem Amtsgericht Hannover (Urt. v. 03.12.2013, Az. 561 C 3773/13) erfolglos geblieben. Auch die Berufung der Kläger blieb vor dem Landgericht Hannover (Urt. v. 04.06.2014, Az. 6 S 4/14) erfolgslos. Auf die Revision zum BGH wurde die Beklagte durch Anerkennisurteil antragsgemäß zur Zahlung verurteilt.
In der Revisionsverhandlung hat der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat den Sachverhalt vorläufig wie folgt bewertet: Jedenfalls in einer mehr als geringfügigen Vorverlegung eines geplanten Fluges durch das Luftverkehrsunternehmen liegt eine – mit dem Angebot einer anderweitigen Beförderung verbundene – Annullierung des Fluges, die einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung begründen kann. Für eine Annullierung ist kennzeichnend, dass das Luftverkehrsunternehmen seine ursprüngliche Flugplanung endgültig aufgibt, auch wenn die Passagiere auf einen anderen Flug verlegt werden. Dies ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 19. November 2009 - C-402/07, Slg. 2009, I-10923 = NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 - Sturgeon/Condor; Urteil vom 13. Oktober 2011 - C-83/10, Slg. 2011, I-9488 = NJW 2011, 3776 = RRa 2011, 282 - Sousa Rodríguez/Air France) geklärt, die zur Abgrenzung des Tatbestands der Annullierung vom Tatbestand der großen Verspätung entwickelt worden ist. Die ursprüngliche Flugplanung wird auch dann aufgegeben, wenn ein Flug – wie im Streitfall – um mehrere Stunden "vorverlegt" wird.
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte den gegen sie geltend gemachten Anspruch anerkannt. Auf Antrag der Kläger hat der BGH die Beklagte danach im Wege des Anerkenntnisurteils zur Zahlung verurteilt.
Auszug aus der Fluggastrechteverordnung
* Art. 5 Abs. 1 Buchst. c
Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen
… vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i)sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii)sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii)sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.
** Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b
Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe
… 400 € bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 und 3500 km, …
*** Art. 2 Buchst. l
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck …
"Annullierung" die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.
**** Art. 3
(1)Diese Verordnung gilt …
(2)Absatz 1 gilt unter der Bedingung, dass die Fluggäste
a) über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen …
Quelle: Pressemittelung des BGH, Nr. 89/15
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Letzte Aktualisierung: 19.06.2015