Durch verbraucherrechtswidrige Geschäftspraktiken von Unternehmen wird regelmäßig eine große Anzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern geschädigt. Zu ihrem Schutz ist es nötig, unerlaubte Praktiken flächendeckend zu beenden und Abhilfe zu schaffen. Der kollektive Rechtsschutz bei Verstößen gegen verbraucherschützende Vorschriften ist in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union höchst unterschiedlich geregelt.
Ziel der Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. L 409 vom 4.12.2020, S. 1) ist es, unionsweit den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken. Die Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten der EU bis zum 25. Dezember 2022 in nationales Recht umzusetzen. Die neuen Regelungen müssen ab dem 25. Juni 2023 angewendet werden.
Mit dem Gesetzentwurf will des Bundesmisterium für Justiz (BMJ) die Richtlinie umsetzen. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU, zwei Arten von Verbandsklagen vorzusehen. Verbände müssen das Recht haben, im eigenen Namen Unterlassungsklagen, durch die Zuwiderhandlungen gegen Verbraucherrecht beendet werden können, und Abhilfeklagen, durch die Verbraucherrechte durchgesetzt werden können, zu erheben. Abhilfeklagen gibt es im deutschen Recht bislang nicht.
Das BMJ hat den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie am 16.02.2023 interessierten Verbänden, Organisationen und Institutionen zur Stellungnahme bis zum 03.03.2023 vorgelegt. Der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. hat zu diesem Entwurf wie folgt Stellung genommen:
Sehr geehrter Herr Dr. Wieckhorst,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir danken Ihnen für die Gelegenheit, zu dem von Ihnen übersandten Referentenentwurf Stellung nehmen zu können.
1.
Wie Ihnen bekannt ist, ist der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. der einzige der zur Geltendmachung von Gewinnabschöpfungsansprüchen nach § 10 UWG befugten Verbände,
der von dieser Möglichkeit in nennenswertem Umfang und mit erheblichem Erfolg Gebrauch gemacht hat. In den nunmehr fast 20 Jahren seit Einführung des Gewinnabschöpfungsanspruchs wurden nur etwas mehr als 30 Mio. €, diese aber nahezu ausschließlich durch den Deutschen Verbraucherschutzverein e.V. abgeschöpft. Der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. ist auch der einzige Verband, der dabei erhebliche Erfahrungen mit Prozessfinanzierern gemacht hat.
Gern hätten wir zu dem Referentenentwurf, insbesondere zu den geplanten Änderungen des § 10 UWG, vertieft Stellung genommen. Aufgrund der äußerst kurz bemessenen Stellungnahmefrist müssen wir uns im Folgenden jedoch auf einige grundsätzliche Anmerkungen beschränken.
2.
Der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. begrüßt das Anliegen, die Aufsicht über die
nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz registrierten Personen beim Bundesamt für Justiz zu
zentralisieren. Auch aus hiesiger Sicht verhindert die bisherige Zersplitterung der Aufsichtszuständigkeiten
auf Landesebene eine einheitliche und vor allem wirksame Aufsicht. Demgegenüber
bestehen bei der Aufsicht nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz keine landesspezifischen
Besonderheiten, die eine Beibehaltung der Zuständigkeit der Länder erforderlich
machen würden.
Wir begrüßen grundsätzlich, dass die EU-Verbandsklagenrichtlinie nun umgesetzt werden soll, wodurch der Verbraucherschutz in Deutschland eine notwendige Stärkung erfahren wird.
zu Artikel 12 Nummer 4 Buchstabe a:
Wir begrüßen ausdrücklich, den Gewinnabschöpfungsanspruch auch auf grob fahrlässige Verstöße gegen die nach § 3 und § 7 UWG unzulässigen geschäftlichen Handlungen zu erweitern
(Doppelbuchstabe aa). Auch die hier gemachten Erfahrungen bestätigen, dass gerade
der Vorsatznachweis bei der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs (besonders)
schwierig ist. Soweit auch grob fahrlässige Verstöße gegen die Handlungsverbote für Unternehmen
die Gefahr der Inanspruchnahme im Rahmen der Gewinnabschöpfung in sich bergen,
ist zudem davon auszugehen, dass die Sensibilität der Unternehmen für rechtswidrige
Praktiken erhöht werden wird.
Der in § 10 Abs. 1 UWG anzufügende Satz (Doppelbuchstabe bb) ist als Klarstellung durchaus angebracht. Er würde die leidige Diskussion darüber beenden, ob § 287 ZPO auch hinsichtlich der Frage des „Ob“ eines erzielten Gewinns anwendbar ist, was die wohl herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung bereits auf der Grundlage der aktuellen Gesetzeslage bejaht.
zu Artikel 12 Nummer 4 Buchstabe d:
a)
Der vorgesehene neue § 10 Abs. 5 UWG greift die Regelung des aktuellen Abs. 4 S. 2 und 3 auf und würde eine bisher umstrittene Rechtsfrage zu Lasten der Verbände entscheiden. Eine
so gefasste Kostenerstattungsregelung halten wir mangels Anwendungsbereichs
für nutzlos und regen dringend an, sie zu ändern. Wir schlagen vor, den geplanten Absatz 5 wie folgt zu fassen:
Die Gläubiger können vom Bundesamt für Justiz die für die Geltendmachung des Anspruchs erforderlichen Aufwendungen verlangen, soweit kein Ersatzanspruch gegen den Schuldner besteht oder sich ein solcher Anspruch nicht durchsetzen lässt. Der Anspruch nach Satz 1 ist auf die Höhe des an den Bundeshaushalt abgeführten Gewinns beschränkt.
Um hier auf eine erschöpfende Darstellung verzichten zu können, beziehen wir uns auf die lesenswerte Darstellung in dem Aufsatz des Richters Dr. Hoof in der VuR 2021, S. 163 ff. (zu § 10 Abs. 4 S. 2 UWG dort ab Seite 165). Die Auslegung des bisherigen § 10 Abs. 4 S. 2 UWG ist bekanntlich umstritten. Insofern wird vertreten, dass § 10 Abs. 4 S. 2 UWG den Verbänden gegen den Bundeshaushalt nur einen Ausfallersatzanspruch für solche Rechtsverfolgungskosten gewährt, die sie nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO vom Beklagten verlangen könnten, bei diesem aber – aus welchen Gründen auch immer (z.B. wegen Insolvenz) – nicht beitreiben können. Ein Anwendungsfall für einen derartigen Kostenersatzanspruch ist in der nun fast 20-jährigen Geschichte des § 10 UWG nicht bekannt geworden. Er würde voraussetzen, dass der Abschöpfungsschuldner einen Gewinn an den Bundeshaushalt abführt (sonst erhält der Verband wegen der Deckung nach § 10 Abs. 4 S. 3 UWG ohnehin nichts), dann aber zahlungsunfähig wird.
Die wohl überwiegende Literaturmeinung geht jedoch davon aus, dass § 10 Abs. 4 S. 2 UWG den Verbänden einen ergänzenden Kostenerstattungsanspruch gewährt, der auch solche Aufwendungen einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung umfassen kann, die die Verbände nicht vom Beklagten ersetzt verlangen können. Auf dieser Grundlage hat das Bundesamt für Justiz den Verbänden bisher – wie Sie wissen – die Erstattungszusage für die Kosten der Prozessfinanzierung erteilt.
Wenn Gewinnabschöpfungsansprüche zukünftig nicht ausschließlich mithilfe von Prozessfinanzierern geltend gemacht werden sollen, bedarf es dringend eines ergänzenden Kostenerstattungsanspruchs, mit dem die Verbände auch solche zweckmäßigen Aufwendungen aus dem Bundeshaushalt ersetzt verlangen können, für die kein Kostenerstattungsanspruch gegen den Abschöpfungsschuldner besteht. So entstehen bei einem Streitwertbegünstigungsantrag im Beschwerdeverfahren Kosten, die wegen § 68 Abs. 3 S. 2 GKG auch im Erfolgsfall nicht vom Gegner zu erstatten sind. Führt die Prozessführung letztlich zu einer Gewinnabschöpfung an den Bundeshaushalt, wäre es nur billig, dem Verband aus dem Bundeshauhalt die Kosten des Streitwertbegünstigungsverfahrens zu erstatten. Ein Bedarf für einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Bundeshaushalt besteht ferner zum Beispiel auch in Fällen des Teilobsiegens eines Verbandes. Wenn ein Verband mit einer Gewinnabschöpfungsklage nur teilweise obsiegt, beschränkt sich sein Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner gem. § 92 Abs. 1 ZPO auf die Erfolgsquote und der Verband muss den restlichen Teil der Kosten selbst tragen, während dem Bundeshaushalt ein unter Umständen erheblicher Gewinn zufließt. Es erscheint unbillig, dem Verband in solchen Fällen vorzuhalten, dass er sich eben bei der Bezifferung des Anspruchs vertan habe und deshalb die ihm verbliebenen Kosten nach prozessualen Regeln selbst tragen muss. Jedenfalls wenn die Klage aus ex-ante-Sicht in voller Höhe erfolgversprechend war, sollte der Verband die ihm verbliebenen Kosten aus dem dem Bundeshaushalt zugeflossenen Gewinn ersetzt verlangen können. Anderenfalls wäre das naheliegende Ergebnis abzusehen: Soweit die Anspruchsberechtigten keinen Prozessfinanzierer einschalten wollen, müssen sie – wie bisher – bei der Bezifferung der Ansprüche so defensiv sein, dass das Risiko eines Teilunterliegens 4 von vornherein minimiert wird. Das aber wäre nicht im Sinne des Ziels einer effektiven Abschöpfung von Unrechtsgewinnen.
b)
Die Ergänzung des § 10 UWG um einen neuen Abs. 6, der die Einschaltung eines Prozessfinanzierers
unter den bereits derzeit geltend Voraussetzungen legitimiert, wird begrüßt. Der
Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. hat bekanntermaßen Gewinnabschöpfungsverfahren
auch mit Prozessfinanzierern geführt, nachdem zuvor jeweils die Zustimmung des Bundesamtes
für Justiz eingeholt worden war. Der Bundesgerichtshof hat diese Vorgehensweise
mit den in der Literatur mehr als umstrittenen Entscheidungen „Prozessfinanzierer I“ (Urt. v.
13.09.2018, Az. I ZR 26/17) und „Prozessfinanzierer II“ (Urt. v. 09.05.2019, Az. I ZR 205/17)
als rechtsmissbräuchlich angesehen und die prozessfinanzierten Klagen als unzulässig abgewiesen.
Der BGH hat auf die Möglichkeit der Streitwertherabsetzung nach § 12 Abs. 3, 4 UWG verwiesen, wovon der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. mittlerweile in einzelnen Fällen erfolgreich Gebrauch gemacht hat. Über den erheblichen zusätzlichen Aufwand und die Risiken eines Streitwertbegünstigungsverfahrens für den klagenden Verband hinaus besteht bei dieser Vorgehensweise jedoch ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den streitenden Parteien, denn die Höhe der Vergütung der Prozessbevollmächtigten des klagenden Verbandes hängt dann vom Erfolg des Klage ab. Dabei sind Gewinnabschöpfungsverfahren gegen große Unternehmen, wie sie der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. angestrengt hat, mit einem enormen Aufwand sowohl für den Verband als auch für die Prozessbevollmächtigten verbunden. Dieser Aufwand steigt mit der Höhe des abschöpfbaren Unrechtgewinns, weil die Unternehmen hier erfahrungsgemäß auch einen großen Aufwand bei der Anspruchsabwehr betreiben. Große Unternehmen können es sich leisten, mit ihren eigenen Rechtsanwälten erfolgsunabhängig Stundensätze über der gesetzlichen RVG-Vergütung zu vereinbaren und motivieren ihre Anwälte so, die weit weniger komfortabel vergüteten Prozessbevollmächtigten der klagenden Verbände allein mit der Quantität ihrer Schriftsatze zu „erdrücken“.
Durch die Möglichkeit der Einschaltung eines Prozessfinanzierers bzw. die gesetzliche Legitimation der Einschaltung von Prozessfinanzierern auch im Rahmen der Gewinnabschöpfung würde es klagenden Verbände in der Zukunft erleichtert bzw. überhaupt erst wieder ermöglicht werden, Gewinnabschöpfungsansprüche großen Umfangs durchzusetzen. Das wird hier ausdrücklich begrüßt.
Mit freundlichen Grüßen
(Vorstandsvorsitzender)
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