Häufig besuchte Seiten:

Stellungnahme zum Diskussionsentwurf eines "Gesetzes zur Einfüh­rung einer Muster­fest­stellungs­klage" vom 27.07.2017

Seit mehreren Jahren werden – sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene – unterschiedliche Instrumente der kollektiven Rechtsdurchsetzung diskutiert, da eine individuelle Geltendmachung von Ansprüchen häufig nicht stattfindet. Geringwertige Schadensersatz- oder Erstattungsansprüche werden von den Verbraucherinnen und Verbrauchern oft nicht verfolgt, da der erforderliche Aufwand aus Sicht der Betroffenen unverhältnismäßig erscheint. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) setzt sich daher für die Einführung einer Musterfeststellungsklage ein, mit der eine zügige und kostengünstige Durchsetzung von Ansprüchen ermöglicht wird, die einer Vielzahl von Personen zustehen und die zugleich einer missbräuchlichen Rechtsverfolgung vorbeugt.

Das BMJV hat den Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Musterfeststellungsklage am 27. Juli 2017 interessierten Verbänden, Organisationen und Institutionen zur Stellungnahme vorgelegt. Der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. hat zu diesem Entwurf wie folgt Stellung genommen:


Sehr geehrter Herr Birtel,

ich danke Ihnen für die Einräumung der Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem von Ihnen übersandten Diskussionsentwurf.

1.
Der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. begrüßt grundsätzlich die Absicht, durch die Einführung einer Musterfeststellungsklage ein nicht auf ein eng umgrenztes Sachgebiet beschränktes Rechtsmittel zu schaffen, das die Bündelung der Interessen einer Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucher in einem gerichtlichen Verfahren ermöglicht.

Der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. hält die Musterfeststellungsklage insbesondere in Konstellationen für nützlich, in denen Verbraucheransprüche nicht ganz unerheblicher Höhe von schwierigen tatsächlichen oder rechtlichen Fragestellungen abhängen, die der einheitlichen Prüfung  in einem Musterverfahren zugänglich sind. Ein aktuelles Anwendungsfeld könnten z.B. mögliche Schadensersatzansprüche der Verbraucher im Zusammenhang mit der sogenannten Abgasaffäre sein. Dort würde eine entsprechende Musterfeststellungsklage auf das erhebliche Durchsetzungsinteresse einer Vielzahl von Verbrauchern treffen, welche wegen der ungeklärten Anspruchsvoraussetzungen eine eigene Klage zunächst nicht erheben würde.

Entsprechend der Zielsetzung des Gesetzes, den Verbrauchern die Anspruchsdurchsetzung zu erleichtern, sollte die Musterfeststellungsklage allerdings so ausgestaltet werden, dass sie eine möglichst weitreichende Bindungswirkung zugunsten der Verbraucher hat und der Aufwand der betroffenen Verbraucher für eine Beteiligung an der Musterfeststellungsklage möglichst gering ist.

Vor diesem Hintergrund halten wir die in § 614 vorgesehene Beschränkung aller Wirkungen der Musterfeststellungsklage auf die angemeldeten Verbraucher für kontraproduktiv und auch für nicht notwendig. Nach dem Vorbild des § 11 S. 1 UKlaG sollte es jedem Verbraucher möglich sein, sich auf ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil zu berufen, auch wenn er seinen Anspruch nicht zum Musterfeststellungsverfahren angemeldet hatte. Auch für Verbraucher, die ihre Ansprüche angemeldet hatten, sollte die Bindungswirkung – wie in einer Variante des Entwurfs vorgeschlagen – davon abhängig gemacht werden, dass sie sich auf das Musterfeststellungsurteil berufen. § 614 Abs. 1 S. 2 ZPO wäre dann überflüssig, weil eine Bindung zu Lasten der Verbraucher nicht mehr bestünde. In der Konsequenz müsste die Aussetzung eines anderen Rechtsstreits in § 614 Abs. 2 ZPO von einem entsprechenden Antrag des Verbrauchers abhängig gemacht werden, so dass er auch über die Frage einer Aussetzung des anderen Verfahrens selbst entscheiden kann. Wir schlagen daher vor, § 614 ZPO wie folgt zu fassen:

§ 614
Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils; Aussetzung

(1) Das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil bindet das zur Entscheidung einer Streitigkeit zwischen einem Verbraucher und dem Beklagten berufene Gericht, soweit die Entscheidung von den Feststellungszielen abhängt, wenn sich der Verbraucher auf die Bindungswirkung  des Musterfeststellungsurteils beruft.
(2) In einer zwischen einem Verbraucher und dem Beklagten des Musterfeststellungsverfahrens rechtshängigen Verfahren, das den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt wie die Musterfeststellungsklage betrifft, setzt das Gericht das Verfahren auf Antrag des Verbrauchers bis zur rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Erledigung der Musterfeststellungsklage aus.

Im Ergebnis würde mit den vorgeschlagenen Änderungen auch der Beteiligungsaufwand für die Anmelder im Musterfeststellungsverfahren reduziert, da sich deren Aufwand auf die einmalige Anmeldung und ggf. die Entscheidung, aus einem Vergleich auszutreten, beschränken würde. Eine etwaige Rücknahme der Anmeldung wäre überflüssig und aus § 609 Abs. 4 zu streichen.

2.
Allerdings geht der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. nicht davon aus, dass die Musterfeststellungsklage geeignet ist, dass rationale Desinteresse der Verbraucher an der Durchsetzung von Kleinst- und Kleinschäden zu überwinden. Die Musterfeststellungsklage kann das Risiko des Verlustes einer individuellen Schadensersatzklage für den Verbraucher senken, weil einzelne Anspruchsgrundlagen vorab im Musterfeststellungsverfahren entschieden werden können, befreit den Verbraucher, abgesehen vom Fall eines Vergleichsschlusses nach § 612, aber gerade nicht von der Notwendigkeit, zur Anspruchsdurchsetzung letztlich doch einen Individualprozess führen zu müssen.

Die Hemmschwelle für die Bereitschaft zur Erhebung einer Individualklage ist ganz erheblich. Nach einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahre 2013 ist – ohne eine Musterfeststellungsklage – selbst bei einem durchzusetzenden Anspruch i.H.v. 1.950 € erst eine knappe Mehrheit der Verbraucher bereit, Klage zu erheben.

Diese Schwelle sinkt durch eine vorhergehende Musterfeststellungsklage unseres Erachtens nur unerheblich. Bei sehr niedrigen Schäden im ein- bis zweistelligen Eurobereich wird ein großer Teil der Betroffenen nicht einmal den Aufwand betreiben, seinen Anspruch zur Musterfeststellungsklage anzumelden. Noch höher ist die Hemmschwelle zur Erhebung einer eigenen Klage nach einem Erfolg der Musterfeststellungsklage. Auch wenn das Verlustrisiko aufgrund des Musterfeststellungsurteils nun geringer ist, sind die für die Individualklage vorzustreckenden Kosten unverändert. Die Hemmschwelle wird insofern nur unwesentlich unter den von in der Allensbach-Umfrage ermittelten Werten liegen.

3.
Der Deutsche Verbraucherschutzverein e.V. siehtdie Musterfeststellungsklage daher nur als einen Baustein zur Schließung der bei sogenannten Streuschäden bestehenden Rechtsdurchsetzungsdefizite. Neben der Einführung einer Musterfeststellungsklage sollte weiterhin auch über andere Rechtsmittel nachgedacht werden, deren Wirksamkeit nicht von der aktiven Mitwirkung der geschädigten Verbraucher abhängt.

Insofern sollte die Einführung einer Verbandsklage erwogen werden, die zu einer unmittelbaren Zahlungspflicht des Unternehmers an die geschädigten Verbraucher führt. Jedenfalls in einfach gelagerten Fällen, in denen die Schädigung aller betroffenen Verbraucher durch einem unrechtmäßigen Zahlungsfluss gleicher Höhe eingetreten ist, wie etwa bei der verbreiteten Erhebung überhöhter Mahnpauschalen (§ 309 Nr. 5a BGB), bedürfte es lediglich der Einführung eines erweiterten wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruchs. Während der bereits bestehende Beseitigungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG nur die Beseitigung der Rechtsverletzung umfasst, müsste der erweiterte Anspruch auch die Beseitigung der Folgen der Rechtsverletzung umfassen, also einen Anspruch auf Rückabwicklung der unrechtmäßigen Zahlungsflüsse beinhalten.

Rechtspolitisch zwingend notwendig ist darüber hinaus eine effektive Gewinnabschöpfungsklage, um Verbraucherrechtsverletzungen auch in der Vielzahl jener Streuschadensfälle unattraktiv zu machen, in denen die unmittelbaren Schadensersatzansprüche der Verbraucher, aus welchen Gründen auch immer, auch zukünftig nicht durchgesetzt werden. Insofern sollten die hinlänglich bekannten Probleme der Konstruktion des Anspruchs aus § 10 UWG behoben werden. Ein effektives Instrument im Kampf gegen systematische Verbraucherrechtsverletzungen wird die Gewinnabschöpfungsklage erst, wenn der Anspruch bereits bei grob fahrlässigen Rechtsverletzungen greift. Zudem muss die Prozessführung für die Verbände attraktiver gestaltet werden, so dass Gewinnabschöpfungsklagen in geeigneten Fällen auch tatsächlich erhoben werden.

Mit freundlichen Grüßen


nach oben