Viele Fluggesellschaften bieten ihre Tickets auch in preiswerten Basistarifen an, die nach ihren Beförderungsbedingungen nicht stornierbar sein sollen. Tritt der Kunde den Flug nicht an, soll ein solches Ticket nach den Vorstellungen der Fluggesellschaften ersatzlos verfallen. Die meisten Fluggäste akzeptieren dies klaglos, liegt doch die vermeintliche Rechtfertigung einer derartigen Preisgestaltung scheinbar auf Hand: Der Fluggast will ein möglichst preiswertes Ticket, als Zugeständnis an die Fluggesellschaft verzichtet er auf die Stornierbarkeit, welche von den Fluggesellschaften in teureren Tarifen meist ausdrücklich angeboten wird.
Allerdings stellt das Gesetz den Fluggast viel günstiger als allgemein bekannt ist. Tatsächlich ist es nicht zulässig, Erstattungsansprüche der Fluggäste bei Stornierung oder Nichtantritt des Fluges durch Beförderungsbedingungen vollständig auszuschließen. Durch den Nichtantritt eines Fluges nicht verbrauchte Preisanteile für Steuern und Gebühren muss die Fluggesellschaft dem Fluggast in jedem Fall erstatten. In vielen Fällen hat der Fluggast darüber hinaus sogar einen Anspruch auf Erstattung eines erheblichen Teils des Flugpreises.
Achtung: Dieser Artikel befasst sich nur mit der Stornierung von Flugtickets, die als selbständige Beförderungsleistung angeboten werden. Werden Flüge zusammen mit anderen Reiseleistungen angeboten, z.B. mit einer Hotelbuchung am Zielort, kann bereits ein Reisevertrag vorliegen. Für die Stornierung von Reiseverträgen gelten andere rechtliche Regelungen.
Entgegen dem Eindruck, den die meisten Fluggesellschaften zu erwecken suchen, ist die Stornierbarkeit eines Flugtickets kein "Zusatzangebot" der Fluggesellschaft, sondern entspricht zunächst einmal der gesetzlichen Rechtslage. Flugbeförderungsverträge sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nämlich sog. Werkverträge und können als solche bis zur Ausführung des Fluges vom Fluggast ohne Angabe von Gründen gekündigt werden. Dies ergibt sich aus § 649 S. 1 BGB**. Zwar kann die Fluggesellschaft gem. § 649 S. 2 BGB** trotz der Kündigung den vereinbarten Flugpreis verlangen bzw. behalten. Sie muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was sie infolge der Aufhebung des Beförderungsvertrages erspart oder erwirbt.
Das bedeutet z.B., dass die Fluggesellschaft im Flugpreis enthaltene Kosten für solche Aufwände nicht verlangen kann bzw. wieder an den Kunden erstatten muss, die ihr infolge der Stornierung gar nicht anfallen. So berechnen die Flughäfen den Fluggesellschaften z.B. Passagiersteuern, die nur für die tatsächlich geflogenen Passagiere erhoben werden. Fliegt der Kunde nicht, fällt der Fluggesellschaft diese Kostenposition für den Fluggast nicht an. Kann die Fluggesellschaft zudem den Platz anderweitig verkaufen, muss sie sich auch das anrechnen lassen.
Im Streitfall muss die Fluggesellschaft detailiert über die ersparten bzw. nicht ersparten Aufwendungen abrechnen. Ohne konkrete Abrechnung über die ersparten Aufwendungen darf die Fluggesellschaft nach § 649 S. 3 BGB** pauschal nur 5% des vereinbarten Flugpreises fordern bzw. behalten. Wenn die Fluggesellschaft nicht bereit ist, ihre Kalkulation offenzulegen und konkret über die ersparten Aufwände abzurechnen, kann der Fluggast nach der gesetzlichen Rechtslage also ganze 95% des Flugpreises zurückfordern.
Allerdings – und damit wird die Rechtslage komplizierter – kann vertraglich von den Regelungen des § 649 BGB abgewichen werden. Dies ist in bestimmten Grenzen auch durch Allgemeine Geschäftsbedingungen möglich. Daher können Fluggesellschaften in ihren Tarifbedingungen im Grundsatz durchaus besondere Stornierungs- und Erstattungsregelungen vorsehen. Diese Regelungen dürfen jedoch nicht so gestaltet sein, dass sie den Fluggast entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Andernfalls sind sie z.B. gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB* unwirksam. Im Falle der Unwirksamkeit entsprechender Klauseln gilt wieder die gesetzliche Rechtslage nach § 649 BGB**.
Die ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur nimmt an, dass ein kompletter Ausschluss des Kündigungsrechts des Fluggastes durch die Tarifbedingungen der Fluggesellschaft in jedem Fall unwirksam ist (vgl. z.B. AG Köln, Urt. v. 04.04.2016, Az. 142 C 238/15; AG Rüsselsheim, Urt. v. 16.05.2012, Az. 3 C 119/12 (36); AG Hamburg, Urt. v. 28.04.1998, Az. 7 C 99/98). Das gilt selbstverständlich auch für Klauseln, die zwar eine Stornierung formell erlauben, an die Stornierung aber eine "Stornierungsgebühr" i.H.v. 100% des Flugpreises knüpfen.
Möglich dürfte es allerdings sein, in den Beförderungsbedingungen abweichend von § 649 S. 3 BGB für den Stornierungsfall eine höhere Pauschalierung als 5% des vereinnahmten Flugpreises vorzusehen. So erscheint z.B. eine Staffelregelung möglich, nach der der Fluggesellschaft von dem nach Abzug von Steuern und Gebühren verbleibenden Flugpreis in Abhängigkeit von dem zwischen der Kündigung und dem vereinbarten Flugtermin liegenden Zeitspanne pauschal ein bestimmter Prozentsatz verbleibt. Dabei müssten die Prozentsätze die gewöhnlich ersparten Aufwendungen ausreichend zugunsten des Kunden berücksichtigen. Außerdem müsste dem Fluggast die Möglichkeit eingeräumt werden, nachzuweisen, dass die Fluggesellschaft im Einzelfall höhere Aufwendungen erspart hat oder sie den Platz noch anderweitig verkaufen oder nutzen konnte. Derartige – im Reisevertragsrecht übliche – Klauseln werden von den Fluggesellschaften bisher i.d.R. jedoch nicht verwendet. Klauseln, die diese strengen Anforderungen zugunsten des Fluggastes nicht erfüllen, sind unwirksam. Verwendet eine Fluggesellschaft unwirksame Klauseln, gilt die gesetzliche Rechtslage, die oben im Absatz 1.1 erläutert wurde.
Achtung Aktualisierung: Der Bundesgerichtshof hat durch Urteil vom 20.03.2018, Az. X ZR 25/17 entschieden, dass die Stornierung von Flugbuchungen auch durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgeschlossen werden kann. Unsere Ausführungen in diesem Abschnitt sind daher nicht mehr aktuell. Bitte lesen Sie im folgenden Abschnitt 2 weiter!
Etwas anders stellt sich die Rechtslage bei Nichtantritt eines Fluges ohne vorherige Stornierung dar. Nach verbreiteter Auffassung kann der Flugbeförderungsvertrag nur bis zum vereinbarten Zeitpunkt des Check-In-Schlusses gekündigt werden. Danach gerät der Fluggast in Annahmeverzug. Dann ist eine Kündigung nicht mehr möglich, so dass ihm der Erstattungsanspruch aus § 649 S. 2 BGB nicht zusteht (AG Frankfurt, Urt. vom 01.12.2014, Az. 32 C 3022/14 - 27). Zwar kann der Kunde auch in diesem Fall die Herausgabe ersparter Aufwendungen verlangen. Anders als bei der (rechtzeitigen) Kündigung soll er dafür aber selbst die Höhe der ersparten Aufwendungen der Fluggesellschaft nachweisen müssen (so jedenfalls AG Frankfurt, siehe oben), was ihm regelmäßig nicht möglich sein wird. Folgt man dieser ausgefallenen Rechtsauffassung, wird der Fluggast in diesen Fällen regelmäßig nur die Steuern und Gebühren zurückverlangen können, da insofern offensichtlich ist, dass z.B. passagierabhängig erhobene Flughafengebühren nicht entstanden sind, wenn der Passagier nicht befördert wurde. Im Übrigen wird ihm der Nachweis, dass die Fluggesellschaft infolge der Stornierung weitere Kosten erspart hat bzw. das Ticket noch anderweitig nutzen konnte, nur gelingen, wenn das Flugzeug überbucht war und trotz des Nichterscheinens des Fluggastes alle verfügbaren Plätze ausgelastet waren. Dann kann er den kompletten Flugpreis herausverlangen.
Einige Fluggesellschaften versuchen, die Durchsetzung von Erstattungsforderungen der Fluggäste zu erschweren bzw. wirtschaftlich zu entwerten, indem sie für die Flugpreiserstattungen, auch wenn es nur um Steuern und Gebühren geht, hohe Erstattungsgebühren verlangen. Sollen sich die Erstattungsgebühren nach den Beförderungsbedingungen auf 100% des zu erstattenden Betrages belaufen, liegt in Wirklichkeit ein Ausschluss des Stornierungsrechts vor, was die Regelung schon nach dem oben Gesagten unwirksam macht.
Aber auch niedriger bemessene Erstattungsgebühren sind nach deutschem Recht unzulässig. Die Erstattung ersparter Aufwendungen bei der Stornierung eines Fluges nach § 649 BGB ist nämlich eine der Fluggesellschaft obliegende gesetzliche Pflicht. Für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten darf die Fluggesellschaft dem Fluggast jedoch kein zusätzliches tarifliches Entgelt abverlangen. Eine entsprechende Regelung in den Beförderungsbedingungen der Fluggesellschaft ist gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB wegen Abweichung vom gesetzlichen Leitbild unwirksam (vgl. z.B. LG Köln, Urt. v. 28.10.2010, Az. 31 O 76/10: Germanwings; Urt. v. 05.06.2013, Az. 26 O 481/12: Lufthansa; KG Berlin, Urt. v. 12.08.2014, Az. 5 U 2/12: Airberlin).
Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof im Grunde bestätigt (Beschl. v. 21.04.2016, Az. I ZR 220/14: Airberlin). Er hält es aber noch für klärungsbedürftig, ob diese Auslegung deutschen Rechts mit europäischem Recht in Einklang steht und hat diese Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Endgültige Rechtssicherheit wird also erst mit der Entscheidung des EuGH eintreten. Bis dahin steht zu befürchten, dass Fluggesellschaften weiter versuchen werden, für Erstattungen von ihren Kunden zusätzliche Gebühren zu erlangen.
Aus den vorstehenden Ausführungen ergeben sich unsere Handlungstipps für Sie:
Beachten Sie in jedem Fall, dass Rückforderungsansprüche wegen stornierter oder nicht genutzter Flugtickets nach drei Jahren verjähren. Die Verjährung beginnt zum Ende des Kalenderjahres, in dem Sie den Flug storniert bzw. ohne Stornierung nicht angetreten haben. Rückforderungsansprüche z.B. für ein im Jahre 2013 storniertes bzw. im Jahre 2013 nicht genutzten Flugticket verjähren also mit Ablauf des 31.12.2016. Wenn Sie einen noch nicht erfüllten Rückforderungsanspruch weiter verfolgen wollen, müssen Sie also spätetens bis zum Ablauf der Verjährungsfrist verjährungshemmende Maßnahmen ergreifen, z.B. einen Mahnbescheid zustellen lassen oder Klage erheben.
* § 307 Inhaltskontrolle
(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. 2Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. | mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder |
2. | wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. |
** § 649 Kündigungsrecht des Bestellers
1Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen. 2Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. 3Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 vom Hundert der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen.
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Letzte Aktualisierung: Juni 2016